Im Alter von 90 Jahren ist Apollo-11-Astronaut Michael Collins gestorben. Er war ganz nahe am Mond, hat aber im Gegensatz zu seinen als Helden in die Geschichte eingegangen Kollegen Neil Armstrong und Edwin Aldrin keinen Fuss darauf gesetzt.
Als der vergessene Mann der Geschichte ist Apollo-11-Astronaut Michael Collins bezeichnet worden. Gut 21 Stunden muss er nach der Landung der Mondfähre «Eagle» am 20.Juli 1969 ganz alleine im Kommandomodul des Mutterschiffs verharren, 110 Kilometer von der Mondoberfläche entfernt. Auf diese setzt um 21.56 Uhr Kommandant Neil Armstrong den ersten Fuss auf den Mond.
Die ganze Welt schaut gebannt auf die wackligen Schwarz-Weiss-Fernsehbilder, die zeigen, wie Armstrong und zwanzig Minuten später Edwin Buzz Aldrin auf die staubige Mondoberfläche springen. Zuvor hatte Collins in seinem Kommandomodul mit ansehen müssen, mit welchen Schwierigkeiten Armstrong die Eagle nach einem Computerabsturz schliesslich mit Handsteuerung auf dem Mond absetzt.
Helden sind geboren. Während Armstrong und Aldrin auf dem Mond die amerikanische Fahne hissen und zwei Messinstrumente aufstellen, kreist Collins geduldig im Kommandomodul um den Mond. Alle zwei Stunden sieht er die Erde über dem Mond aufgehen. Das Bild der zerbrechlichen, wunderbaren Erde aus grosser Distanz beeindruckt Collins am meisten.
Während der zweitägigen Umkreisungen führt Collins Beobachtungen durch, fotografiert den Mond, kontrolliert die Systeme und bereitet alles vor, um die Mondfähre auf ihrem Rückflug vom Mond wieder einzufangen. Eine Reise um den Mond dauert zwei Stunden. Die Hälfte der Zeit ist Collins ohne jeden Sicht- und Funkkontakt, weil er sich auf der Rückseite des Mondes befindet. «Ich wusste, dass ich allein war wie nie ein Erdling zuvor», sagt der 1930 in Rom geborene Sohn eines Armeeoffiziers.
Als Aldrin und Armstrong ihre Arbeiten beendet haben, klettern sie erschöpft zurück in die Mondlandefähre. Zwölf Stunden später starten sie die Eagle und fliegen zurück zu Michael Collins, der sie in der Kommandokapsel in Empfang nimmt. Drei Tage später wassern die drei in einer Kapsel im Pazifischen Ozean und müssen zwei Wochen in einer versiegelten Kabine bleiben. Erst dann kann Collins seine Frau und die drei Kinder in die Arme schliessen. Darauf jubeln den Apollohelden in New York zwei Millionen Menschen zu und auf einer Weltreise werden sie von Präsidenten, Königen sowie dem Papst beglückwünscht.
Als erste Menschen auf dem Mond gehen aber Armstrong und Aldrin in die Geschichte ein. Der für die Mission unentbehrliche Dritte im Bunde wird vergessen. Oft wurde Collins darauf angesprochen. Dabei hat er immer bestritten, sich ausgegrenzt gefühlt zu haben. Collins sagt dazu:
«Die Mission brauchte drei Mann Besatzung. Ich halte mein Drittel für genauso wichtig wie die Anteile der anderen beiden.»
Im Jahr 2009 sagt er: «Ich wäre ein Lügner und Narr, wenn ich sagen würde, dass ich den besten der drei Apollo-11-Sitze gehabt hätte. Aber ich kann ehrlich sagen, dass ich perfekt zufrieden bin mit dem, den ich hatte.»
«Wenn wir auf die Geschichte zurückblicken, suchen wir immer einzelne Gesichter und Figuren, die für grosse Unternehmungen stehen», sagt Philosophie-Professor Dieter Thomä von der Universität St.Gallen. Auch Napoleon habe Russland nicht alleine erobert. Im Fall der Mondlandung fallen einem zwar die Namen von Armstrong und Aldrin ein, weil sie mit ihren grossen Anzügen auf dem Mond herumgehüpft sind. Collins kenne man dagegen weniger so wie auch die Köpfe, welche die Raketentechnologie entwickelt haben. Und viele andere der Apollo-Mission auch. Denn insgesamt waren 350'000 Menschen an dieser Mond-Mission der Nasa beteiligt.
«Die Frage, wer nun den Mond betreten darf, haben die Astronauten nicht selbst entschieden», sagt Thomä. Armstrong sei gerade deshalb besonders berühmt geworden, weil er bei der Landung seine eigene Rolle richtig beschrieben habe: Für ihn selbst war es «ein kleiner Schritt», für die Menschheit «ein grosser». «Er wurde für seinen Einsatz gefeiert, aber auch dafür, dass er sich selbst so stark zurücknahm.» Die Mondlandung war eine Teamleistung, und die Astronauten, die bei dem Einsatz ihr Leben riskiert haben, waren eher so etwas wie leitende Angestellte.
«Jede Gesellschaft braucht Menschen, die den Mut haben, Aussergewöhnliches zu tun, sich Gefahren auszusetzen, Mut zu zeigen», sagt Thomä. Nur dank solcher Menschen entwickle sich die Gesellschaft weiter. Thomä zitiert den grossen englischen Philosophen John Stuart Mill: «Nichts wurde jemals getan, ohne dass einer als Erster es tat.»
Es gebe grosse Entdeckungen und Leistungen, bei denen Personen in eine Hierarchie gepresst worden sind. Zum Beispiel auch bei der Erstbesteigung des Mount Everest. «Hillary ist der Held, der Sherpa Tensing Norgay der Gepäckträgern – sozusagen.» Das sei spätkoloniales Denken und Arroganz. «Im Fall der drei Apollo-Astronauten war das anders.» Mit der Aufgabenteilung habe Collins keine Probleme gehabt.
Sechs Monate nach der Mondlandung verlässt Michael Collins die Nasa. Kurzzeitig dient er danach als stellvertretender Staatssekretär und ist von 1971 bis 1978 Direktor des National Space Museums in Washington. Er bleibt ein Leben lang ein Förderer der Raumfahrt und rät auch den Mars zu erobern. In einem Vorwort eines seiner Bücher schreibt er 1994: «Ich bin zu alt, um zum Mars zu fliegen, und ich bedaure das.» Aber in der Zeit der Doppeldecker aufgewachsen, habe er seinen Höhepunkt erreicht, als die Mondraketen aufkamen. Das sei schwer zu übertreffen.
2014 stirbt seine Frau Patricia Finnegan nach 57 Jahren Ehe. Diese Woche ist der an Krebs leidende Collins nun mit 90 Jahren gestorben, acht Jahre nach Armstrong. Noch am Leben ist Buzz Aldrin, der in einem Tweet schreibt: «Wo immer du bist, du wirst immer das Feuer haben, uns geschickt zu neuen Höhen und in die Zukunft zu tragen. Wir vermissen dich. Ruhe in Frieden.»