Die «Roaring Fourties», das Gebiet, wo heftige Stürme wüten, muss durchfahren werden.
«Nachdem wir mit unserem Forschungsschiff die Gegend um Heard Island verlassen haben, stehen uns elf Tage auf offener See bevor. Dabei kommen wir genau in die Breitengrade, in denen die heftigsten Stürme wüten: die «Roaring Fourties». Als Vorbereitung darauf zurren wir alles an Bord fest: Die Helikopter im Hangar werden zusätzlich vertäut und in unserem Messcontainer legen wir noch extra Spanngurte an. Dann fahren wir mit maximaler Geschwindigkeit Richtung Hobart, Australien.
Nun kommt die grosse Zeit für die ozeanographischen Projekte, die Messungen in der Tiefe des Meeres machen. Dafür wird eine sogenannte Rosetta mit einem Kran über die Bordwand gehoben und ins Wasser gelassen. Die Rosetta ist ein rundes Gestell mit vielen langen Flaschen. Diese öffnen sich jeweils in unterschiedlichen Tiefen und sammeln dort Wasser. Auf bis zu 1500 Meter wird die Rosetta herabgelassen, bevor sie nach drei Stunden gefüllt zurück an Bord kommt. Die gesammelten Wasserproben werden auf verschiedene Forschungsprojekte aufgeteilt. In dem kleinen Labor im Bauch des Schiffes wimmelt es nun von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die die Wasserproben mit ihren verschiedenen Geräten untersuchen. Schnell liegt die Antwort vor, in welcher Tiefe sich das Phytoplankton aufhält. Das Phytoplankton sind Algen und Bakterien, die am Anfang der marinen Nahrungskette stehen; ohne es könnte das Ökosystem Ozean nicht funktionieren.
Das Phytoplankton ist aber auch für uns Atmosphärenforschende interessant. Denn hier auf der Südhalbkugel ist es Sommer und damit die Zeit, in der das Phytoplankton «blüht»: Es entlässt Moleküle in die Luft, die wiederum die Chemie der Atmosphäre verändern. Das möchten wir natürlich beobachten und dann zusammen mit den Ozeanographen auswerten. Nach nun fast vier Wochen an Bord haben wir alle 22 Forschungsprojekte gut kennen gelernt und es ergeben sich täglich neue Gelegenheiten, uns gegenseitig weiterzuhelfen – wissenschaftlich gesehen, ist der Eisbrecher «Akademik Tryoshnikov» ein Schlaraffenland. Auf der langen Strecke nach Hobart gibt es nun jeden Abend zwei wissenschaftliche Vorträge, die bei etwas Wein und Schokolade diskutiert werden.
Bei all diesen Unternehmungen haben wir fast vergessen, dass wir durch die «Roaring Fourties» fahren – und merken plötzlich, welches Glück wir haben: Wir begegnen keinem Sturm, stattdessen scheint oft die Sonne und das Meer ist ruhig. Man kann die Fahrspur des Schiffes bis zum Horizont verfolgen. Nachmittags machen wir eine Art Zirkeltraining auf dem Deck. Wir nutzen, was das Schiff zu bieten hat: An der Leiter zum Kran machen wir Klimmzüge, wir laufen Runden auf dem Helikopterdeck und springen Seil. Nach einer Stunde Training bleiben viele noch an Deck und nehmen ein Sonnenbad – in der Antarktis.
Die elf Tage bis Hobart auf der australischen Insel Tasmanien vergehen rasch. Früh am Morgen stehen wir auf dem Deck, beobachten den Sonnenaufgang und Delfine. Langsam kommt Tasmanien in Sicht. Das Wetter ist schön und Freunde aus Hobart kommen uns mit ihren Motorbooten entgegen. Die Stimmung schwankt zwischen Freude und Abschiedsschmerz, denn einige der Forschende werden in Hobart von Bord gehen und zurück nach Hause fliegen – andere werden ihren Platz auf dem Schiff einnehmen. Ich bin gespannt auf die neue Gruppe und die nächste Etappe, die durch den Pazifischen Ozean bis zur Südspitze von Chile führen wird.