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Leben
Für manche Dating-App-Nutzer ist Social Distancing ein Fremdwort. Sex ist wichtig, Gesundheit nur zweitrangig.
Links, links, rechts, links, rechts. So kann es bei Singles in der Isolationszeit Stunden lang gehen. Und die dazugehörige App, in der man nach links und rechts wischt, heisst «Tinder». Die Dating-App, die es schon seit 2012 gibt, um die es zwischenzeitlich aber ruhiger geworden war, feiert nun dank des Coronavirus ein grosses Comeback. Frei nach dem Motto «Keep your hands clean and your minds dirty» – also: «Halte deine Hände sauber, die Gedanken dürfen schmutzig bleiben», chatten vor allem junge Leute, was das Zeug hält.
Die täglichen Unterhaltungen auf Tinder seien weltweit um 20 Prozent gestiegen, und die Dauer der Gespräche habe sich während der Isolationszeit um 25 Prozent verlängert, wie Tinder auf Anfrage mitteilt.
Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Sind die jungen Leute trotz Corona wirklich dazu bereit, sich zu treffen? Um das herauszufinden, habe auch ich angefangen, nach links und rechts zu wischen. Und obwohl unter vielen Bildern Hashtags wie #stayhome oder #socialdistancing stehen, sind längst nicht alle Nutzer von dem Virus eingeschüchtert. «Quarantine and chill», statt dem bekannten «Netflix and chill», heisst es etwa bei dem 23-jährigen Thomas.
Der 24-jährige Nicola ist frecher und will wissen, ob er mich umhauen kann, falls es das Virus noch nicht gemacht haben sollte. Andere suchen in der App einen sogenannten «Quarantine Buddy», um die Zeit nicht alleine verbringen zu müssen. Der 23-jährige Hezron, Austauschstudent aus Los Angeles, ist hartnäckiger und will ein Treffen. «Ich wurde negativ auf das Virus getestet, also ist bei mir alles gut», schreibt er und fügt einen Zwinkersmiley hinzu. Dass der Bundesrat, genauso wie aber auch Tinder von Treffen abraten, interessiert ihn nicht weiter. Er sei lediglich auf Spass aus.
Genauso denkt auch der 25-jährige Julian aus Baden. Er trifft seine Dates weiterhin, Pandemie hin oder her. «Ich kann nicht tagelang schreiben und dann passiert nichts. Das ist doch langweilig», sagt er. Sex sei ihm wichtig und darauf wolle er auch nicht in Coronazeiten verzichten. Telefonsex? Das käme für ihn nicht in Frage: «Auf keinen Fall. Dann kann ich mir auch gleich nur Videos anschauen und auf das Schreiben verzichten.»
Und das möchte er nicht, deshalb trifft er sich weiterhin mit Frauen. Seit die Isolation vor etwa einem Monat in Kraft getreten ist, habe er zwei Frauen pro Woche getroffen. «Es sind weniger als sonst. Die Frauen sind zurückhaltender», sagt der 25-Jährige. Viele würden sich momentan nicht treffen wollen, zu gross sei die Angst, angesteckt zu werden. Unverständlich, wie Julian findet.
Auch wenn einige der Tinder-Nutzer vorsichtiger geworden sind, gibt es doch so manche, die genauso wie Julian, nicht auf Sex verzichten wollen. Das zeigen die vielen Kommentare unter den Bildern der Nutzer, die ich gesehen habe.
Mein Tinder-Dasein war nur ein Experiment. Das findet Austauschstudent Hezron weniger amüsant. Denn er habe keine Zeit zu verlieren – trotz Isolation. Aber für diejenigen, die momentan sehr wohl viel Zeit haben, hat Tinder einige Tipps: Man könne sich zu zweit in einem Buch-Club anmelden, eine Netflix-Party feiern oder einfach ein Face-Time-Dinner haben. Bei den Tipps kann Julian nur müde lächeln. «Wenn ich zwischen Buch-Club und Sex wählen soll, ist meine Antwort wohl klar.»