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Machthaber werden von Rivalen mit Spitznamen verspottet. Das kann ihnen schaden oder sie unsterblich machen.
Sleepy Joe, Crazy Bernie, Mini Mike — US-Präsident Donald Trump hat für jeden seiner politischen Gegner einen Spitznamen. An seinen Wahlkampfevents macht er sich regelmässig über seine Rivalen lustig und verhöhnt sie mit gemeinen Wortspielen. Nicht nur Trumpisten lachen, wenn er etwa Mike Bloomberg als Mini Mike verhöhnt. Denn der demokratische Milliardär hat ein Eitelkeitsproblem: Er liess sich in der Vergangenheit immer wieder Rampen hinters Rednerpult stellen, um grösser zu wirken.
Trumps Spottbezeichnungen wirken besonders stark, weil er damit oft auf tatsächlich vorhandene Schwächen zielt. Oder zumindest auf das Bauchgefühl der amerikanischen Öffentlichkeit. So wurde die ehemalige Aussenministerin Hillary Clinton zwar von allem juristisch strafbaren Fehlverhalten freigesprochen, aber in der amerikanischen Öffentlichkeit blieb ihr gegenüber stets ein Gefühl des Misstrauens. Mit seinem Spitznamen „Crooked Hillary“ (betrügerische Hillary) nutzte Trump dies geschickt aus und machte die Demokratin 2016 zum Gespött im ganzen Land.
Trump ist der Meister der bösen Zungen
Momentan gibt es niemanden, der das Spiel mit den Namen so geschickt einsetzt wie der orange Rüpel im weissen Haus. Fast täglich schiesst Trump über Twitter neue Wortschöpfungen auf seine Kritiker. Und seine Helfer beim konservativen Sender Fox News zeigen diese jeden Abend einem Millionenpublikum.
Die von Trump verliehenen Spitznamen sind mittlerweile derart bekannt, dass sie sogar von Wikipedia gesammelt werden. Die offizielle Liste der Plattform umfasst bereits 200 Begriffe, die Trump anderen angehängt hat. Das Ironische dabei: Obwohl Trump schon so viele Spitznamen kreiert hat, gelang es bisher niemandem, ihm sein eigenes Gift zu verabreichen. Ausser den eher unbekannten Bezeichnungen „Liar in Chief“ (Cheflügner) und „Fake President“ gibt es keinen Übernamen für ihn. Trump stellt sich selbst aber oft als „Your favourite President“ (Ihr Lieblingspräsident) vor.
Der letzte Politiker, der ein ähnlich gutes Händchen (oder Züngchen) für Spitznamen hatte wie Trump, war George W. Bush. Seines Zeichens ebenfalls Republikaner und allgemein für sein loses Mundwerk bekannt. Auf ihn geht unter anderem der Spitzname „Straussenbein“ für Wladimir Putin zurück. Wie Trump schoss auch Ex-Präsident Bush manchmal unter die Gürtellinie. Den Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, John Boehner, nannte Bush „Boner“, was so viel heisst wie „Ständer“ bei einer Erektion.
Doch nicht überall zielen Spitznamen auf Geschlechtsteile ab wie in den USA. Im altehrwürdigen Europa nennen die Deutschen ihre Kanzlerin liebevoll „Mutti“. Die Übernamen sind hier allgemein weniger brutal, selbst in der Comedyszene. Die „heute show“, das Flaggschiff der deutschen Satire, bezeichnet den hetzerischen AfD-Politiker Björn Höcke regelmässig als Bernd Höcke. Das amerikanische Pendant „daily show“ geht deutlich weiter und nennt seinen Lieblingsgegner Trump schon seit Langem „Fuckface von Clownstick“ (Arschgesicht von Clownstick).
Überall gibt es Spitznamen, nur nicht in der Schweiz
In Osteuropa werden Spitznamen den eher autoritären Staatschefs traditionell vom Volk verliehen. Russen nennen ihren Präsidenten etwa „blasse Motte“, ein Spitzname, den Putin schon während seiner Geheimdienstzeit erhalten hat. Der 1.60 kleine Dmitri Medwedew, bis vor Kurzem russischer Ministerpräsident und Adlat Putins, wird hinter vorgehaltener Hand „Putinchen“ oder ironisch „Grosswesir“ genannt. Und Ungarns protestierende Jugend enerviert sich meist nicht über Viktor Orban, sondern über den „Viktator“.
Doch die herrschende Klasse nimmt das Spotten nicht immer auf die leichte Schulter. Der chinesische Präsident Xi zum Beispiel war von seinem Übernamen „Big Daddy“ so gekränkt, dass er ihn im chinesischen Internet zensurieren liess. Und auch der australische Premier Scott Morrison zeigte sich dünnhäutig: Er beschwerte sich bereits mehrere Male, dass er nicht mehr „Scotty von der Marketingabteilung“ gerufen werden will.
In einem Land aber fehlen Politikerspitznamen, nämlich in der Schweiz. Zwar weiss jeder, wer gemeint ist, wenn von „Christoph“ oder „Simonetta“ die Rede ist. Aber kreative Übernamen gibt es nicht. Schweizer Politiker trauen sich nicht zur kecken Neckerei. Und das Bundeshaus ist nicht gerade als Hort der guten Laune bekannt.
Entgegen dem ersten Reflex ist ein Spitzname nicht immer etwas Negatives, auch wenn er ursprünglich so gemeint war. Denn begabte Rhetoriker können einen unvorteilhaften Übernamen häufig ins Positive drehen. Margaret Thatcher, die ehemalige britische Premierministerin, wurde ursprünglich von russischen Propaganda-Zeitschriften als herzlose, «eiserne Lady» beschimpft. Doch Thatcher reagierte geschickt und nutzte die Bezeichnung, um sich als starke, unverrückbare Kraft gegen den russischen Kommunismus darzustellen.
Das Akzeptieren eines vermeintlich nachteiligen Spitznamens kann ambitionierten Machthabern sogar helfen, sich einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Für dieses Ziel ist ein eingängiger Spitzname nämlich oft mehr Wert als eine grosse Tat: Iwan III., der erfolgreichste russische Iwan, ist heute nur wenigen ein Begriff. Doch den vierten Iwan, «den Schrecklichen», kennen auch heute noch die meisten.