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Die Rede ist von besorgniserregenden Schweizer und Tiroler Varianten des Coronavirus. Die vier wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
1. Norditalienische Forscher sprechen von einer Schweizer Virusvariante. Gibt es die wirklich?
Forscher des Labors des Candiolo Cancer Institute in Turin haben bei einem 57-jährigen Mann aus der Region Turin die Virusvariante B.1.1.39 festgestellt, welche die Forscher als Schweizer Variante bezeichnet haben. Dies, weil dieses Virus in der Schweiz häufig nachgewiesen worden sei.
Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel sequenziert die Coronaviren. Dass die italienischen Forscher die Variante B.1.1.39 als Schweizer Variante bezeichnen, hält Neher für verwegen. «B.1.1.39 ist eine alte Variante. Wo die Variante entstanden ist, lässt sich nur durch Analysen bestimmen.» Und die fehlen für diese Mutation. Auch Daniel Dauwalder vom BAG bestätigt: «Die Variante B.1.1.39 ist bereits im April 2020 aufgetreten und hat sich weder in der Schweiz noch anderswo durchgesetzt.» Im Piemont ist diese dort als Schweizer Variante bezeichnete Mutation neben der britischen, südafrikanischen und brasilianischen die vierte, die entdeckt worden ist.
2. Ist die Schweizer Variante gefährlich?
In der italienischen Zeitung «La Stampa» sagen die norditalienischen Forscher, die Schweizer Variante sei so ansteckend wie die britische. Aber sie sei mit den zugelassenen Impfungen bekämpfbar. Für Richard Neher von der Uni Basel ist B.1.1.39 dagegen keine bemerkenswerte Variante. Es gebe in der Schweiz eine Reihe von entdeckten Varianten, die an denselben Positionen des Virus Mutationen enthalten, die auch in den sogenannten Variant of Concerns, also den besorgniserregenden Varianten vorkommen. «B.1.1.39 gehört bislang aber nicht dazu.»
Und Dauwalder vom BAG sagt: «Da der Anteil der Variante B.1.1.39 im Vergleich zur britischen Variante abnimmt, ist anzunehmen, dass sie nicht so ansteckend ist.» Deshalb bestehe für diese Variante im Moment kein Handlungsbedarf. In Italien scheint gemäss dem BAG jetzt eine Reinfektion stattgefunden zu haben mit dieser Variante. «Reinfektionen passieren gelegentlich und Einzelfälle sind kein Grund zur Sorge», sagt Dauwalder. Nach Neher müssen wir damit rechnen, dass in der Schweiz immer wieder solche Varianten entdeckt werden. «Das ist aber nicht jedes Mal eine Schlagzeile wert. Die Überwachung und Eindämmung solcher Varianten ist aber wichtig», sagt der Virusanalytiker vom Basler Biozentrum.
3. Woher kommt die indische Variante, die in der Schweiz entdeckt wurde?
Im Raum Solothurn wurde Ende März erstmalig für die Schweiz in der Fall der indischen Variante B.1.617 entdeckt, die sich in Indien rasend schnell ausbreitet. Gemäss dem BAG handelt es sich beim Infizierten um einen Passagier, der über einen Transitflughafen in die Schweiz eingereist ist. Festgestellt wurde die Variante inzwischen auch in Deutschland, Australien, Belgien, England, den USA und Singapur. Deren Besonderheit ist die Doppelmutation, weil sie zugleich zwei Veränderungen an einem Oberflächenprotein aufweist. Diese Mutationen kennt man schon von bestehenden besorgniserregenden Varianten. Insbesondere die Mutationen E484K und E484Q, die aus der südafrikanischen und brasilianischen Variante bekannt sind.
ETH-Professorin und Taskforcemitglied Tanja Stadler hat die indische Variante in der Schweiz entdeckt und äusserte sich beunruhigt, weil die Variante die Immunantwort der Impfung abschwächen könnte, bei Menschen, die Covid-19 schon durchgemacht haben. Möglicherweise könnte auch der Impfschutz gegenüber der indischen Variante schwächer sein, aber doch vor schwerer Erkrankung schützen. Bis jetzt ist allerdings noch keine Virusvariante bekannt, welche den Impfschutz komplett umgeht. Gemäss Richard Neher verdient die indische Variante B.1.617 nicht mehr Aufmerksamkeit als andere Variant of Concern.
4. Gibt es Reiseeinschränkungen nach Indien?
Ab heute Montag, 18 Uhr, hat das Bundesamt für Gesundheit Indien auf die BAG-Liste der Risikoländer gesetzt. Wer aus Indien in die Schweiz einreist, muss unter anderem in Quarantäne.
5. Wie gefährlich ist die Tiroler Variante?
In Tirol ist es wie in ganz Österreich in den vergangenen Monaten zum gehäuften Auftreten verschiedener Virusvarianten gekommen. Zu reden gibt die Entwicklung von sogenannten Fluchtmutationen. Dabei handelt es sich um eine Abwandlung der britischen B.1.1.7 Variante. 8,2 Prozent der Fälle im Bundesland Tirol, also etwa 1800 Verdachtsfälle, tragen diese «Tiroler Variante», bei der eine schlechtere Neutralisation der Viren durch Impfstoff-Antikörper befürchtet wird.
Eine Fluchtmutation geschieht, wenn ein Virus in eine Sackgasse gerät, was bei der britischen Variante geschehen sein könnte. Die Flucht gelingt dem Virus mit der Mutation am Spike-Protein, in diesem Tiroler Fall mit der Mutation E484K. E484K ist eine Mutation, durch die es dem Virus gelingen könnte, den Antikörpern auszuweichen. Ob diese Verbindung wirklich aus dem Tirol stammt, ist unsicher, sie könnte genauso gut in dieses Bundesland getragen worden sein. Und exklusiv ist die Tiroler Variante zudem auch nicht. «Wir sehen sporadisch E484K in der britischen Variante B.1.1.7, zum Beispiel als eine isolierte solche Sequenz aus dem Tessin – ohne offensichtlichen Zusammenhang mit dem Tirol», sagt Neher. Bei so vielen Sequenzen komme dies spontan hin und wieder vor.