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Graphen ist transparent, reissfest und leitet Strom. Das macht den Stoff zu einem potenziellen Wundermittel.
Um Graphen herzustellen, braucht es einen Bleistift und ein Stück Klebstreifen. Und doch gab es 2010 einen Nobelpreis für die Entdeckung des Materials. Es ist denkbar dünn und trotzdem reissfest, leitet Strom, ist biegsam und transparent. Ein Wundermaterial, das Medizin, Elektronik, Energiewirtschaft und den Alltag umkrempeln soll, wenn wir den Versprechen der Forscher Glauben schenken.
Der einzige Baustein von Graphen ist Kohlenstoff, eines der häufigsten Elemente auf der Erde. Die speziellen Eigenschaften des Materials entstehen durch die Anordnung des Kohlenstoffs in einem exakt ein Atom dicken wabenartigen Gitter. Das erreichten die inzwischen nobelpreisgekrönten Physiker Konstantin Novoselov und Andre Geim an der Universität Manchester vor 15 Jahren tatsächlich, indem sie mit Klebstreifen auf glattem Grafit – dem Material von Bleistiftminen – experimentierten.
Die Schwierigkeit in der industriellen Herstellung besteht darin, möglichst grosse Graphenstücke herzustellen. Die Forschung macht rasche Fortschritte, unter anderem dank Geldern der EU in Höhe von einer Milliarde Euro. Doch wie weit ist es mit den angekündigten Anwendungen? Wir nehmen einige Bereiche unter die Lupe.
Die Rechnung ist einfach: Je leichter das Flugzeug, desto weniger Treibstoff verbraucht es. Das ist gut fürs Klima und fürs Portemonnaie der Passagiere. Erreichen lässt sich dies, wenn Verbundwerkstoffe mit Graphen verstärkt werden. Bereits wurden Tests durchgeführt, um die Vorderkanten der Heckflügel des Airbus 350 auf diese Weise zu verstärken. Schon zu kaufen gibt es Tennisschläger, die mit Graphen verstärkt sind.
Dünn und reissfest – das sind die wichtigsten Anforderungen an ein Kondom. Da kommt Graphen wie gerufen. Wird es dem Latex beigemischt, wird er so stabil, dass auch hauchdünne Kondome den wildesten Sex unbeschadet überstehen. Die Kondome sind in Entwicklung, unter anderem hat die Bill & Melinda Gates Foundation Gelder gesprochen.
Um Zuckertiefs zu vermeiden, müssen Menschen mit Diabetes den Glukosespiegel ihres Blutes überwachen. In Zukunft soll die Blutzuckermessung mittels eines Pflasters möglich sein, das mit Graphen beschichtet ist. «Eine Graphenschicht reagiert sehr empfindlich auf Biomarker, die sich daran binden», sagt Christian Schönenberger, Physikprofessor an der Universität Basel. Er rechnet damit, dass Sensoren auf der Basis von Graphen – nicht nur für Glukose – schon bald auf den Markt kommen.
In der Regel leitet Kunststoff keinen Strom. Doch bei einem Benzinschlauch wäre dies erwünscht. Denn wenn elektrische Ladungen nicht abfliessen, können sich Spannungen aufbauen und als Funken entladen, was in Kombination mit Benzindämpfen bekanntlich verheerend sein kann.
Deshalb werden Benzinschläuche aus Kunststoff hergestellt, dem Russpartikel beigemischt wurden. Doch Graphen ist die bessere Alternative zu Russ. Das Material hat alle Eigenschaften, die man sich bei Gummischläuchen wünscht: Es ist leicht, biegsam und doch stabil. Graphen-haltige Kunststoffe existieren bereits.
Um elektrischen Strom in Batterien zu speichern, braucht es Materialien mit grossen Oberflächen. Da bietet sich das Graphen an – dünner geht es nicht. Dank diesem Material sollen Batterien mehr Energie speichern können und leichter werden, was besonders bei Elektrofahrzeugen gefragt ist. Die Akkus von Smartphones sollen sich innert ein paar Minuten aufladen lassen. Samsung will spätestens 2021 erste Geräte mit Graphen-Akkus verkaufen. Bereits auf dem Markt sind mobile Akkus, sogenannte Powerbanks, mit Graphen-Technologie.
Vielenorts auf der Welt ist Trinkwasser knapp, Meerwasser dagegen à discrétion verfügbar. Die Entsalzung von Meerwasser ist bislang teuer und energieaufwendig. Das soll sich ändern: Aus Graphenoxid – sozusagen sauerstoffhaltiges Graphen – kann ein Filter gemacht werden, der Wasser durchlässt, Salz aber zurückbehält. Selbstverständlich kann nebst Salz auch Verschmutzung herausgefiltert werden, um dreckiges Wasser zum Trinken aufzubereiten. Im Labor funktioniert es, für die Praxis muss das System noch verbessert werden.
Da Graphen transparent ist und leitet, kann es für elektronische Bauteile in Bildschirmen verwendet werden. So sollen Displays entstehen, die sich wie ein Uhrenband ums Handgelenk legen lassen. Ein ganzes Smartphone biegsam zu machen, ist eine ganz andere Sache – davon sind wir laut Einschätzung des Physikers Christian Schönenberger von der Uni Basel noch weit entfernt.