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Smartphones und Überwachungskameras mit Gesichtserkennung haben Probleme mit Masken. Doch China kennt bereits eine Lösung.
In Bussen, U-Bahnen und Supermärkten trägt man bald Mundschutz. In Österreich und Bayern ist das Tragen von Atemschutzmasken in Supermärkten bereits Pflicht, in der Schweiz wird darüber diskutiert. Was in asiatischen Metropolen als Präventionsmassnahme längst gängige Praxis ist, soll nun auch in Europa Standard werden.
In westlich-liberalen, individualisierten Gesellschaften, wo seit der Aufklärung das Prinzip des «offenen Visiers» gilt, hat man mit dem Verbergen des Gesichts mehr Probleme als in kollektivistisch geprägten Gesellschaften Asiens, wo der Einzelne in der Masse untergeht. Nicht umsonst gilt für Demonstrationen ein Vermummungsverbot, das sich ideengeschichtlich auf Maskenverbote im Mittelalter zurückführen lässt.
Die Frage ist nun aber, ob Überwachungstechniken wie beispielsweise die Gesichtserkennung, die in immer mehr Ländern zum Einsatz kommt, mit Atemschutzmasken noch funktionieren. In London etwa setzt die Polizei Live-Gesichtserkennung zur Identifizierung von Kriminellen ein, auch in Deutschland wird in einigen Städten mit der Technologie experimentiert.
Gesichtserkennungssysteme vermessen verschiedene Punkte im Gesicht und gleichen die biometrischen Merkmale mit einer Datenbank ab. Die Technik hat schon unter normalen Bedingungen eine hohe Fehlerquote (beim System in London lag sie zeitweise bei 81 Prozent).
Wenn nun alle Menschen in der Öffentlichkeit ihr Gesicht bedecken, könnte die Maschinerie noch mehr ins Stottern geraten und reihenweise falsche Treffer produzieren. «Nahezu alle Gesichtserkennungssysteme, darunter auch Apples Face ID, stützen sich auf kritische Gesichtspartien, inklusive den Mund», erklärt der Informatiker Anil Jain, einer der weltweit führenden Biometrie-Experten.
Wenn diese nicht sichtbar sind, sinkt die Genauigkeit.
Apples Face ID, das sich automatisch an Änderungen des Erscheinungsbilds wie Make-up oder Bartwuchs anpasst und auch bei Sonnenbrillen und Schals funktionieren soll, erkennt Gesichter mit Atemschutzmaske nicht. Beim Versuch, das iPhone mit Maske zu entsperren, poppt der Hinweis auf:
Gesicht verdeckt. Entferne alles, was dein Gesicht möglicherweise verdeckt.
Zwar kursieren auf Youtube zahlreiche Tipps, wie man den Algorithmus austrickst. Praktikabel sind sie allerdings nicht.
Wer nun glaubt, die Massnahme gegen Seuchenschutz diene auch dem Datenschutz oder sei gar ein listiger Trick gegen Überwachung, könnte sich allerdings irren. Die chinesische Firma Hanwang, die weltweit zwei Millionen Kameras an Eingängen installiert hat, behauptet, eine Gesichtserkennungssoftware entwickelt zu haben, die mit 95-prozentiger Genauigkeit Träger von Atemschutzmasken identifiziert.
Der Algorithmus kehrt das gewöhnliche Prinzip um: Er versucht nicht, von einem Maskenträger auf das passende Porträtfoto zu schliessen, sondern er imaginiert quasi, wie eine Person mit Maske aussehen würde. Dazu sind komplizierte Berechnungen und Simulationen notwendig. Der maschinell lernende Algorithmus wurde mit 50000 Porträtfotos von Hanwang-Mitarbeitern trainiert.
Biometrie-Experte Jain gibt zu bedenken, dass solche Laborversuche unter kontrollierten Bedingungen im Realbetrieb nicht funktionieren. Um ein Gesichtserkennungssystem mit Maskenträgern zu trainieren, müsste man sich seiner Einschätzung nach stärker auf die sichtbaren Areale fokussieren, namentlich die Augenpartien.
Jain hat bereits 2009 in einer Machbarkeitsstudie demonstriert, wie sich die Region ums Auge als biometrisches Merkmal nutzen lässt. Der Vorteil gegenüber einem Iris- oder Retina-Scan besteht darin, dass man keine so hohe Auflösung benötigt. Auch per Gangerkennung, die bereits von der chinesischen Polizei eingesetzt wird, liessen sich Maskenträger in der Masse aus grösserer Entfernung identifizieren – der Gang ist ein einzigartiges biometrisches Merkmal.
Die amerikanische Künstlerin und Produktdesignerin Danielle Baskin hat sich derweil eine besonders pfiffige Idee einfallen lassen: Sie hat eine Atemschutzmaske entwickelt, auf der jener Teil des Gesichts aufgedruckt wird, der verdeckt ist. So soll es möglich sein, seine Mitmenschen vor Viren zu schützen und gleichzeitig sein Handy per Gesichtsscan zu entsperren.
Zugegeben: Das Ergebnis wirkt arg generisch. Das Gesicht hat zwei Ebenen, als wäre eine Schönheitsoperation misslungen. Und ob die plastische Erweiterung aus dem Drucker funktioniert, ist auch nicht klar. Aber zumindest ist es eine charmante Lösung, ohne Gesichtsverlust durch die Krise und Maskenpflicht zu kommen.