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Leben
Schnaps soll Coronaviren abtöten, sagte ein deutscher Virologe am Fernsehen. Abwegig sei das nicht, sagt der Schweizer Immunologe dazu – doch er spricht zugleich eine Warnung aus.
Diese Woche beantwortete der deutsche Virologe Jürgen Rissland in der Sendung «Rundum Gesund» auf dem öffentlich-rechtlichen Sender SWR Publikumsfragen. Ein Zuschauer will wissen, ob seine Strategie richtig sei, viel zu trinken, um die Viren den Rachen runter zu spülen - «möglichst auch noch etwas Alkoholisches, das mögen die Viren auch nicht».
Rissland ist um eine Antwort nicht verlegen. Und sie dürfte dem Zuschauer gefallen haben: «Das stimmt natürlich. Je hochprozentiger der Alkohol ist, umso besser ist das.» Schaden könne es ja nicht. Wenn man Whisky-Liebhaber sei, sei das das vielleicht gar nicht eine so schlechte Methode, ergänzt Rissland.
Sehen Sie die Aussage im Video (ab 41:09). Quelle: SWR
Hochprozentigen Alkohol trinken und der Infektion mit Corona-Viren vorbeugen: Was ist da dran? CH Media hat beim Immunologen Beda Stadler nachgefragt. Der muss lachen, als er das Telefon abnimmt. «Immer öfter rufen – meistens ältere – Leute bei mir an, ob sie sich denn nach dem Mittagessen einen Schnaps genehmigen dürfen.» Er bejahe dann jeweils, sagt Stadler.
Es sei korrekt, dass Alkohol Viren kaputt mache. Als Rezept für ein natürliches Desinfektionsmittel sei Alkohol schliesslich auch schon viele Jahre bekannt. Ein weiterer Vorteil: «Wenn man Husten hat, und die sich im Schleim befindenden Viren die Speiseröhre hinab spült, können so auch weniger Viren in die Lunge gelangen.»
In der Corona-Prophylaxe zum Alkohol zu greifen sei nicht die dümmste Idee, meint Stadler und springt damit seinem deutschen Kollegen Rissland zur Seite. «Lieber das als auf dubiose Alternativmedizin zu vertrauen», sagt er.
Doch auch wenn ein Effekt laut Beda Stadler nicht von der Hand zu weisen ist: Wissenschaftlich fundierte Studien zur Verbindung von Alkohol und Viren gibt es bislang keine. Und Stadler liegt es fern, den Konsum von Alkohol zu propagieren. «Es ist doch so: Jetzt haben alle, die gerne mal wieder ein Gläschen Schnaps trinken wollen, eine wunderbare Ausrede.» Man müsse immer auch vernünftig bleiben können.
Doch vernünftig bleiben, das fällt vielen Leuten während der Corona-Krise schwer. Langeweile, soziale Isolation, Angst vor Jobverlust und finanzielle Nöte sind alles Faktoren, die den Gebrauch von Suchtmitteln begünstigen. Beim Blauen Kreuz, der Organisation für Prävention, Therapie und Selbsthilfe bei Suchtkrankheiten, mehren sich Anrufe von Menschen, die sich um ihren Alkoholkonsum sorgen, wie Präsident Philipp Hadorn auf Anfrage sagt.
Das sei einerseits ein gutes Zeichen, findet Hadorn. «Es zeigt, dass die Menschen eine Veränderung bemerken und sich mit ihrem Trinkverhalten auseinandersetzen wollen.» Wenn die Situation aber ausser Kontrolle gerate und mehr und mehr Alkohol konsumiert werde, könne das «dramatische Folgen haben, auch für die Gesellschaft». Hadorn sieht derzeit besonders Alkoholiker im Entzug sowie genesene Alkoholiker gefährdet. «Sie sind oftmals nur ein Glas vom Rückfall entfernt.»
Hinzu kommt: In diesen Tagen sind Schweizer Familien auf engem Raum beieinander. Wirklich näher kommen sich viele deswegen aber nicht. Hadorn erzählt, dass in den Gesprächen auf der Hilfs-Hotline häusliche Gewalt immer öfter zur Sprache kommt. Ein Thema, das eng mit der Suchtproblematik zusammenhängt.
«Meistens handelt es sich um präventive Anrufe von Leuten, die Angst um sich selbst oder ihre Kinder haben», sagt Hadorn. Die Mitarbeiter des Blauen Kreuzes stünden beratend zur Seite, konkrete Vorfälle habe man bis jetzt noch nicht melden müssen.
Nicht nur in der Schweiz sind Sucht und Gewalt während der Corona-Krise präsent, wie verschiedene ausländische Medienberichte zeigen. In Grönland hat die Regierung gar den Verkauf von Alkohol in der Hauptstadt Nuuk verboten, weil sie wegen des eingeschränkten öffentlichen Lebens mehr häusliche Gewalt befürchtet.
Wäre ein solcher Schritt auch in der Schweiz denkbar? Hadorn hält das für eine sehr drastische Massnahme, eher plädiert er dafür, die Konsumkompetenz der Leute zu schärfen. Ganz ausschliessen will er ein Verbot aber nicht: «Der Bundesrat hat in den letzten Wochen viele Dinge umgesetzt, die wir vor ein paar Monaten nie für möglich gehalten hätten.»