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Kultur
Die Schauspieler Regula Grauwiller und Stefan Gubser gehen in die freie Wirtschaft und stellen sich der Demokratie der Schweiz. Ihre Geschichtslektion zu 50 Jahren Frauenstimmrecht hat Kult-Potenzial.
Hast Du Töne? Der als seriös bekannte Schauspieler Stefan Gubser fragt in den Saal: «Sind die Weiber auch Menschen?» Dann wirft er einen scheelen Blick auf seine Bühnenpartnerin, Regula Grauwiller, und beschwert sich: «Warum muss eigentlich immer ich solchen Stuss lesen.» Sie, pfiffig: «Weil du der Mann bist.»
Eine Frau und ein Mann, zwei der interessantesten Bühnenkünstler des Landes, verhandeln die Leidensgeschichte unseres Frauenstimm- und -wahlrechts. Das Buch ist ein Genuss, denn es stammt von Domenico Blass, Giacobbo/Müller-erfahren und Co-Autor der grössten Schweizer Kino-Hits. «Weiber sind auch Menschen oder: Wie die Schweizer Demokratie eine wurde» kommt am Theater Langenthal zur Uraufführung.
Wer das Glück hatte, in der Hauptprobe zu sitzen, wird wetten: Dieser kurze, saftige Geschichtsunterricht hat das Potenzial, ein Kult-Abend zu werden. Ein Stück Schweiz von unten rechts ist das. Doch vielleicht hätte man besser vergessen, welchen hirnweichen Blödsinn demokratisch gewählte Politiker im Laufe ihrer Karriere von sich geben (durften?). Politikerinnen kommen an diesem Abend nicht zu Wort, sie waren bis 1971 bekanntlich zum Stummsein verurteilt.
Domenico Blass lässt aus historischen Dokumenten vorlesen, aus Zeitungsartikeln und politischen Reden. Der Witz ist offensichtlich: Grauwiller hat den süffisanten Part; Gubser windet sich aus dem Korsett, das ihn zum Täter macht. Das ist süsse Unterhaltung, wäre die Lage, die Faktenlage, nicht derart bitter.
Nach der Hauptprobe in Langenthal will man mehr wissen und erfährt: Regula Grauwillers Grosstante ist die stille Patin des Abends, sie war Lehrerin und schon sehr früh Befürworterin des Frauenstimmrechts. Die Anekdote, wie sie auf offener Strasse bespuckt wurde, als sie sich dafür starkmachte, ist der Jüngeren bis heute unvergessen.
Aus anderen Gründen mit dem Thema beschäftigt ist Stefan Gubser. Er weiss: «Bei gleichem Marktwert und bei gleicher Erfahrung verdient ein Mann beim Drehen noch immer mehr als eine Frau.» Gubser kennt die Gagen, sie wurden in einer aktuellen Umfrage des Berufsverbandes der professionellen Filmschaffenden (SSFV) erhoben. Bekannt gegeben wird diese am Filmfestivals Locarno. Und sie soll zu reden geben.
Hinter dem gemeinsamen Abend, mit dem sie in den nächsten Wochen und Monaten durch die Schweiz reisen, steht allerdings mehr als das Interesse an der Frauenfrage. Grauwiller und Gubser, alte Bekannte auf Filmsets, haben sich selbstständig gemacht, man kann sie buchen, sie sind Unternehmer geworden. Die G & G GmbH heisst offiziell «Wortspektakel», produziert «Heimkultur», heisst, die Firma liefert Theater oder szenische Lesungen dorthin, wo das Publikum ist.
Der Wunsch, etwas Eigenes zu realisieren, ist alt, Corona hat zudem das Drehen und Theaterspielen sozusagen unmöglich gemacht, der Zeitpunkt, neue Wege zu gehen, schien richtig. Gubser sagt es so: «Mich hat die gemeinsame Arbeit gerettet. Wenn ich nur zu Hause auf den Telefonanruf für einen nächsten Job warten würde, fiele mir die Decke auf den Kopf.» Grauwiller präzisiert. «Das Schwierige an unserem Beruf ist nicht das Auswendiglernen, sondern die Unsicherheit, nicht zu wissen, wann der nächste Job kommt.»
Sie hat bis vor kurzem nur Filme gedreht, denn: «In der Schauspielschule hat man mir gesagt: Du verschwindest auf der Bühne, ich war sehr schüchtern. Beim Drehen bestand das Problem nicht, die Kamera sieht dich. Jetzt verwirkliche ich mir den Traum vom Theater, indem ich es selbst in die Hand nehme.»
Die Neo-Entrepreneure sind sich ihrer Privilegien bewusst, sie haben international bekannte Namen und können finanzielle Risiken eingehen. Und das tun sie mit ihren Stücken, den musikalischen Abenden mit dem Casal-Quartett, das als eines der besten Schweizer Streichquartette gilt. Oder sie testen die Form des «Dinner-Theaters». Während Corona haben sie es für drei Zuschauer gespielt, und die Nachfrage für die Zeit danach ist bereits hoch.
Und beide freuen sich auf die klassische Produktion, die sie mit den Hamburger Kammerspielen realisierten, die Erstaufführung der «Deutschlehrerin» nach dem Roman von Judith Taschler. Corona hat die Premiere torpediert, sie wird nachgeholt, Tourneedaten durch Deutschland und die Schweiz sind bestätigt. Regula Grauwillers Grosstante wäre stolz auf die Kraft der beiden, an Träume zu glauben.
«Weiber sind auch Menschen oder: Wie die Schweizer Demokratie eine wurde», » ab 11. Juni im Zürcher Bernhardtheater, dann auf Tournee durch die Schweiz. Termine unter wortspektakel.ch