Serien-Hit
The Andy Warhol Diaries: So lebendig war der Pop-Art-Künstler noch nie

Eine neue Serie befeuert den Mythos um die Ikone der Pop-Art. Der Künstler lässt es sich nicht nehmen, ein Wörtchen mitzureden.

Anna Raymann
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Zu Lebzeiten ein Star - und bald vermutlich das teuerste Bild des 20. Jahrhunderts. Andy Warhols «Shot Sage Blue Marilyn» könnte bei der Auktion im Mai eine Rekordsumme erzielen.

Zu Lebzeiten ein Star - und bald vermutlich das teuerste Bild des 20. Jahrhunderts. Andy Warhols «Shot Sage Blue Marilyn» könnte bei der Auktion im Mai eine Rekordsumme erzielen.

Bild: John Angelillo / Keystone

Andy Warhols Marilyn könnte bald zum teuersten Bild des letzten Jahrhunderts werden. Im Mai wird das Auktionshaus Christie’s «Shot Sage Blue Marilyn» unter den Hammer bringen, erwartet werden 200 Millionen Dollar, der Zuschlag könnte bei einer weitaus höheren Summe erteilt werden. Damit würde die Popikone gar Leonardo da Vinci vom Thron stossen. Das Geld fliesst noch dazu in die Schweiz, zur Galerie Ammann am Zürichberg.

Wie konnte es so weit kommen – wie konnten Bilder aus einer «Factory», als Siebdruck hundertfach reproduzierbar, zu Zierstücken der High Society und Wertanlage angesagter Sammler werden? Andy Warhol kreierte das Bild, das die Welt von ihm zu sehen bekam, mit grösster Sorgfalt: Das aschfahle Haar, die grosse Brille, der Rollkragen. Nichts daran war zufällig, in kapitalistischer Logik machte er sich selbst zur Marke wie kaum ein anderer. Oder wüssten Sie spontan, wie Mark Rothko oder Jackson Pollock – ebenfalls bestgehandelte Künstler jener Zeit – aussahen?

Der Mythos erzählt sich selbst

Dabei gab sich Andy Warhol, als Andrew Warhola in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, stets bescheiden. «Nun, über mich gibt es nicht viel zu erzählen», sagte er wortkarg in einem TV-Interview. Die Szene geht einer neuen Netflix-Dokumentation voraus, die in sechs Folgen sogleich den Gegenbeweis liefert. Wie der Titel «The Andy Warhol Diaries» bereits verrät, basiert die Serie auf dem 1989 veröffentlichten Tagebuch des Künstlers.

Grundlage für die 6-teilige Serie ist das Tagebuch von Andy Warhol.

Netflix / Youtube

Es ist seine Geschichte, in seinen Worten und noch dazu in seiner Stimme erzählt. Leise klingt diese, etwas schläfrig und ohne grosse Unterschiede in den Tonlagen. Sie kommt nicht etwa ab Band, sondern aus dem Computer. Eine künstliche Intelligenz hat sie rekonstruiert – eine Stimme aus der Konserve, aus der Campbell-Suppendose sozusagen. Der futuristische Einfall von Regisseur Andrew Rossi wäre wohl nach Warhols Geschmack gewesen. Die Serie zitiert ihn:

«Maschinen haben weniger Probleme. Ich wäre gerne eine Maschine, Sie nicht auch?»

Ausgerechnet der Kunstgriff zum Algorithmus schafft eine Intimität, wie sie ähnlichen Produktionen des Streaminganbieters bisher entgangen ist. Die nachgestellten Szenen muten dabei hingegen seltsam retro oder gar konservativ an. Während so etwa Andy Warhol nüchtern einen Wohnungsbrand schildert, verschwimmen die Bilder in dramatischer «Aktenzeichen-XY»-Manier.

Diese Erfolgsgeschichte ist eine Beziehungsgeschichte

Zum Glück gibt es daneben genügend Archivbilder, die Sehnsucht wecken nach einer Zeit mit rauschenden Partys und glamourösen Beziehungen: «Wir hätten ein gutes Paar für die Vogue abgegeben», sagt Warhol über ein Foto, auf dem er kurz vor der nächsten Vernissage neben Basquiat bei der Maniküre sitzt.

Er sehe schüchtern aus - und sei auch schüchtern, behauptete Andy Warhol stets. Auf diesem Foto von 1976, versteckt er sich hinter der Kamera.

Er sehe schüchtern aus - und sei auch schüchtern, behauptete Andy Warhol stets. Auf diesem Foto von 1976, versteckt er sich hinter der Kamera.

Bild: Richard Drew / AP

Die Serie erzählt Warhols Erfolgsgeschichte als Liebesgeschichte, die auf der Suche nach der eigenen (Homo-)Sexualität immer wieder enttäuscht wird. Man bemüht sich nicht um eine Entmystifizierung. Unbekümmert, aber dafür umso unterhaltsamer baut man weiter an der Ikone, zu der sich Andy Warhol selbst gemacht hat.

The Andy Warhol Diaries. 6 Folgen, März 2022, Netflix.