Über das Leiden der Männer am verstockten Patriarchat hat er mehrere Romane geschrieben. Jetzt erzählt der kurdisch-schweizerische Schriftsteller mit Humor von der Loyalität zwischen einer jungen Flüchtlingsfrau und einer sterbewilligen Seniorin.
Wenn die junge Pina und die alte Elsa über Männer reden, tönt das so: «Meine Mutter hat immer gesagt: Lass den Mann vorher deine Fusssohlen küssen, wenn er mit dir ins Bett will. Nur dann ist er bereit zu Zugeständnissen.» Dann lachen sie, und wir mit ihnen. In Yusuf Yeşilöz’ neuem Roman gibt es einiges zu lachen, obwohl da eine alte Frau sich zum Sterben bereit macht.
Der kurdisch-schweizerische Schriftsteller ist seit jeher ein literarischer Brückenbauer. Einer, der in der Türkei wegen kurdischen Übersetzungen im Gefängnis sass und vor 35 Jahren in der Schweiz eine neue Heimat fand. Ein sanftmütiger Mann, der als gefragter Experte den türkisch-kurdischen Konflikt kommentiert und in seinen Büchern und Filmen als feinfühliger Aufklärer wirkt.
Mit der Verfilmung seines Romans «Hochzeitsflug» durch Gitta Gsell stand er kürzlich im Rampenlicht. Unter dem Titel «Beyto» kam die Geschichte, die von der Zerrissenheit des schwulen, türkischen Secondo Beyto und seiner konservativen Familie erzählt, in die Kinos und gewann an den diesjährigen Solothurner Filmtagen den «Prix du public». Das Leiden an patriarchaler Verstocktheit stand auch im Folgeroman «Die Wunschplatane» im Zentrum, wo Yeşilöz aus der melancholischen Sicht von Beytos Vater den Kulturkonflikt beleuchtet.
Nun aber hat er offenbar die Männerprobleme im Patriarchat satt – und wechselt konsequent die Perspektive. Statt vom Leiden der Männer an rigiden Normen und am Ehrverlust zu erzählen, sind die Hauptfiguren in «Nelkenblatt» allesamt Frauen. Und diese überwinden überraschend mühelos Generationen- und Kulturschranken: Yeşilöz skizziert hier sozusagen eine feminine Idylle – am Sterbebett der betagten, starrköpfigen Elsa am Zürichsee. Gepflegt wird sie nämlich von Pina, einer jungen Flüchtlingsfrau und Studentin, deren Heimatdorf Samhirada auf keinem Atlas verzeichnet sei, aber 3890 Kilometer von Zürich entfernt liege. Sie musste fliehen, weil sie als Physikstudentin gegen islamistische Regulierungen an ihrer Uni protestiert hatte. Luzia, die strenge, fürsorgliche Tochter von Elsa, komplettiert das Frauentrio.
Man würde nun wohl erwarten, dass Elsa und Pina erst Vorurteile überwinden müssen. Aber Yeşilöz lässt die Frauen sich auf Anhieb prima verstehen, unterläuft damit die genretypische Dramaturgie, verzichtet auf Spannung und fokussiert stattdessen auf die poetische Qualität dieser Annäherung.
Die rebellische junge Pina und die zum Sterben bereite Elsa, die sich nicht mehr zum Essen drängen lässt, verbindet nämlich ihre Selbstbestimmung und Warmherzigkeit. Da verknüpft Yusuf Yeşilöz geschickt in einem vertrauten Plauderton der beiden Frauen zweierlei Emanzipation: Jene des selbstbestimmten Sterbens im Westen und jene des jugendlich-feministischen Aufbruchs aus einer patriarchalen Gesellschaft. Allerdings fällt er immer wieder in einen gar nüchternen Ton: wenn er von Pinas reichem, aber gutmütigem Vater erzählt; von Elsas Ehemann Charles, der beruflich immer Monate auf Montage in aller Welt war; von Pinas todkranker Mutter, von der Scheidung von Elsas Tochter; schliesslich Elsas Tod.
Immer wieder aber schöpft Yeşilöz aus dem orientalisch geprägten, gleichnishaften und bildstarken Erzählen. Pinas Freiheitsdrang quittiert ihre Schwester Zinia: «Wer selbst von einer Mauer springt, dem sollte nichts weh tun.» Ihr Vater hingegen machte ihr vor ihrer Flucht Mut: «Das Wasser findet immer einen Bach, in dem es fliessen kann.» Statt innerlich zerrissene und zerstrittene Männer begegnen uns hier also Frauen, die lieb, verständnisvoll und offenherzig miteinander umgehen und sich freimütig aus ihrem Leben erzählen.
Man mag diesen Roman im Ganzen etwas spannungslos finden, in der Figurenkonstellation sogar kitschig. Ja, schon, und man spürt dahinter die humanistische Absicht des Schriftstellers. Aber man muss dieses Buch eben auch vom Genre her als Idylle, gleichsam als heilsamer Garten, verstehen. Erst so erschliesst sich der Charakter des Romans. Schliesslich geben die vielen Sprachbilder und Geschichten dem Buch auch den Grundton an.
Yusuf Yeşilöz: Nelkenblatt. Roman. Limmat Verlag, 156 S.