Wo Schatten ist, muss es auch Licht geben. Die gemalten Dystopien von Christina Gähler regen an, nach ihm zu suchen.
Nebelschleier hier, ein rot aufgerissener Höllenschlund dort und dazwischen weisse Katastrophenschutzanzüge vor verbrannter Landschaft. Zugegeben, düster erscheinen die vier Bilder auf den ersten Blick schon. Der Titel der Serie fordert den zweiten Blick: «Rauschen in Zuversicht». Ist die Lage also doch weniger Schlimm als befürchtet? Christina Gähler (*1988) hat mit der Frage gerechnet: «Ich habe mit der Serie im letzten Jahr begonnen. Der Titel – ‹Rauschen in Zuversicht› – beschreibt im Grunde meinen Arbeitsprozess, ein hoffnungsvolles Schaffen.»
Und nun also auf den zweiten Blick? Die Atmosphäre bleibt unheimlich, doch es ist wie im Traum: Die Deutung ist Auslegungssache. Was Geist ist, was Schatten und was Körper, ist in den Bildwelten von Christina Gähler selten eindeutig. Aus einem Abgrund wird mit geneigtem Kopf rasch ein Aufgang. Der dichte Kosmos, den die Zofinger Künstlerin auf ihre Leinwände trägt, bietet Anknüpfungspunkte für verschiedene Geschichten − und dass zwischen einem Happy End und dem bitteren Ende oftmals nur eine Abzweigung liegt, haben die zwei Pandemie-Jahre oft genug bewiesen.
Es ist das erste Jahr seit 2014, in dem Christina Gähler ihre Malerei wieder öffentlich ausstellt. In der Zwischenzeit hat sie eine Ausbildung zur diplomierten Aktivierungsfachfrau gemacht und arbeitet heute in einem Alterszentrum in Allschwil:
«Ich mache ungern etwas halbbatzig. Erst nach einem Umzug hatte ich wieder Raum und Energie für die Malerei.»
Dieser neuerliche Fokus und das konzentrierte Schaffen zahlt sich nun aus − und das gleich mit der ersten Eingabe seit dieser langen Pause. Gähler überzeugte das Aargauer Kuratorium mit ihrer eigensinnigen, gleichermassen versierten Malweise und erhält vom Kuratorium daher einen Werkbeitrag über 30000 Franken. «Der Förderbeitrag gibt mir vor allem Zeit für die Kunst», freut sich Gähler.
Von klein auf faszinierte sie die Kunst, bei der Grossmutter schmökerte sie schon als Kind in Büchern und Bildbänden, fand künstlerische Vorbilder und die Lust am Ausprobieren. Sie studierte Kunst an der F&F Schule für Kunst und Design in Zürich und der Hochschule der Künste (HKB) in Bern. Christina Gähler:
«In der Malerei bin ich zu Hause.»
Alle ihre künstlerischen Prozesse führen auf die Malerei zurück, weil: «in der Malerei alles möglich ist», erklärt Gähler, «es gibt unzählige spannende, teilweise Jahrhunderte alte Techniken. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich in der Malerei weiterzuentwickeln.» Mitunter deswegen gehört die Malerei zu den beliebtesten Genres in der Kunst. Auch die Beteiligung an der diesjährigen Ausgabe der Aargauer Jahresausstellung bestätigt dieses Bild − und zeigt, dass aus der Tradition heraus noch immer neue, zuweilen überraschende Ansätze entstehen können. Allein drei der insgesamt acht geförderten Künstlerinnen und Künstlern beschäftigen sich mit Malerei.
So eben auch die vierteilige Serie, die von Christina Gähler aktuell im Aargauer Kunsthaus zu sehen ist. Die schaurige Traumwelt scheint gezeichnet von politischer Aktualität. Die weissen Schutzanzüge rufen einschneidende Bilder der Pandemie hervor. Die überdimensionale Tigermücke, von steigenden Temperaturen ins Land gebracht, schwebt wie ein bedrohliches Vorzeichen vor der Szenerie. Ist dies ein drastisches Wimmelbild gesellschaftlicher Debatten? Oder doch eher eine vielschichtige Verarbeitung komplexer Seelenzustände? «Mir gefällt das Rätselhafte, ich möchte gar nicht alles entschlüsseln», sagt Christina Gähler, «meine Bilder sollen in den Austausch treten mit ihren Betrachtern.»
Und wie findet wiederum die Künstlerin selbst zu ihren Motiven? Es sind die täglichen Begegnungen und Gespräche, die sie anregen, so Gähler. Was sie schliesslich daraus macht, sind Momentaufnahmen einer Zeit – einer ziemlich dunklen Zeit also? «Es scheint, als gehöre dieser düstere Teil einfach zu mir», sagt Christina Gähler gelassen, «aber grundsätzlich ist eine Dystopie in der Malerei für mich nichts Negatives.» Die Zuversicht, der Titel sagt es, rauscht mit. Wo Schatten ist, muss es auch Licht geben.
Porträtserie zur Auswahl 21: Jahresausstellung bis 2. Januar im Aargauer Kunsthaus.