Billie Eilish klingt auf ihrem neuen Album melancholisch. Darum ist sie trotzdem «Happier Than Ever» - glücklicher denn je.
«Hör zu, ich will dir etwas erzählen.» Es ist der Tonfall, in dem sich beste Freundinnen nachts, wenn die Welt schläft, die heimlichsten Ängste – Traumata – und Geheimnisse zuflüstern. «I’ve had some trauma, did things i didn’t wanna / was too afraid to tell ya, but now ist time» - sie hatte Angst, es zu erzählen, nun aber sei der Moment gekommen, singt Billie Eilish auf ihrem neuen, zweiten Album. «Happier Than Ever» beginnt leise und eindringlich. Das, was unter dem schweren Gucci-Hoodie, den Eilish mit der Ankündigung zum neuen Album abgelegt hat, zum Vorschein kommt, klingt ziemlich verletzlich. Die Texte erzählen vom Wachsen und Entwachsen, von Brüchen in dem Teenagerleben, das seit dem Durchbruch 2016 von der medialen Öffentlichkeit gespiegelt wurde.
Doch so intim, wie man gerne glauben möchte, ist das natürlich nicht. Tausende Fans haben am Freitag um Mitternacht zeitgleich auf Play geklickt, um zu den ersten zu zählen, die es hörten. «Happier Than Ever» knackte schon vor der Veröffentlichung Rekorde. Es ist das Album, das auf den Streaming Plattformen am häufigsten vorgemerkt, also digital vorbestellt wurde.
Bis dahin war es besser gehütet als – ja als was eigentlich – ebenjene Geheimnisse der besten Freundin? Weder Radiostationen noch Journalisten erhielten das Album im Vorfeld. Zu den Previews, die die Plattenfirma «Interscope» unter anderem in Berlin inszenierte, waren sie nicht geladen. Kommen durften nur wenige, glücklich ausgeloste Fans. Nichts davon drang an die Öffentlichkeit, was in Zeiten von rasend schnellem Social Media an ein Wunder grenzt.
«Die Pause war toll», sagt Eilish im Interview mit der Musikzeitschrift NMD, «aber jetzt bin ich zurück.» Seit dem ersten Album «When We All Fall Asleep, Where Do We Go?» sind zwei Jahre vergangen. Die erste Singleauskopplung «Your Power» erschien Anfang Mai dieses Jahres, wieder gemeinsam mit ihrem Bruder Finneas O'Connel produziert.
Der Song ist denn auch einer der erschütterndsten auf dem Album. Billie Eilish spricht darin einen Mann an, der sich an einer jungen, zu jungen Frau vergeht. Der Sound dazu ist treibend minimalistisch, die klare Stimme klingt nicht einmal wütend. Bereits wird gerätselt, welche Art von Übergriff der Popstar erlebt hat. Was davon wahr ist. Ob alles nur Kalkül sei.
Natürlich ist es wahr – natürlich ist es Kalkül. Im Grunde spielt das aber keine Rolle, denn es sind die Erzählungen, in denen sich Billie Eilishs Hörerinnen wiederfinden, die ihnen wie alle guten Songs das Gefühl geben, nur für sie geschrieben worden zu sein. In einem Interview mit der Vogue erzählt Eilish, dass sie keine Frau kenne, die noch keine ähnlich seltsame, gar furchtbare Erfahrung gemacht hat.
In dem Album begegnet man Stalkern, verletzenden Ex-Freunden. Man hört weniger Bass als im Hit «Bad Guy», die Songs klingen gesetzter, zeitweise so melancholisch, dass man an Lana del Rey oder Lorde denken muss. Der «Billie Bossa Nova» oder der futuristische, bissige Drive in «Oxytocin» funken diesem Klang dazwischen. Und spätestens in «My future» hält Billy Eilish zuversichtlich dagegen: «I, I'm in love / With my future / Can't wait to meet her» - Ich liebe meine Zukunft, ich kann es nicht erwarten, ihr zu begegnen.
Für diese Zukunft hat sie sich «entblösst», der grungige Look mit den Codes der Subkulturen der Elektro- und Hiphop-Szenen hat sich aufgelöst. Die giftig grünen Streifen in den schwarzen Haaren sind einer blonden Marilyn-Monroe-Mähne gewichen. Satt übergrossen Pullovern mit Markenprint schmiegt sich Eilish auf dem Album-Cover in einen beigen Kaschmirpullover. Die Farbe ist so erwachsen, wie das neue Auftreten.
Dass ihr Körper seit dem Vogue-Cover in Latex-Korsage kein Geheimnis mehr ist, dem die Paparazzi hinterherjagen können, empörte Fans und Kritiker. Womöglich ist das aber auch die Enttäuschung darüber, dass die beste Freundin, die Eilish gibt, eben doch eine clevere Inszenierung ist. Ihre Erzählung vom gleichmachenden Internet, das eine normale Jugendliche auf die grössten Bühnen der Welt holte, ist so romantisch wie das Aschenputtel-Märchen – ihr zu glauben, ist naiv. Wen wundert es, dass man einen Megastar, die jeden Grammy gewinnt, die das meistgestreamte Album auf Spotify hat, teilen muss?
Billie Eilish ist kein Wunderkind mehr, sondern eine Künstlerin, die sich zu vermarkten weiss. Jede Zeile ist bewusst gesetzt, zu den Musikvideos führte sie selbst Regie. Es ist eine Selbstbestimmung, die das Album hörbar macht, und vor allem Mut stiftet, es der Musikerin gleich zu tun und die Fäden selbst in die Hand zu nehmen. Schliesslich scheint es zu funktionieren, zumindest Billie Eilish ist «Happier Than Ever» - glücklicher denn je.
Happier Than Ever: Billie Eilish, Interscope Records