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Plötzlich steht einem Max aus dem Freischütz direkt gegenüber: Am Theater Chur ist dies durch VR-Brillen erlebbar. Das Künstlerkollektiv CyberRäuber zeigt erstmals in der Schweiz ihr Virtual Reality Opernprojekt «Digital Freischütz». So hat man Oper noch nie erlebt.
Dunkel, dräuende Klänge. Und dunkel ist auch der Wald. Man befindet sich mitten im schwarzen, dichten Unterholz, dabei ist man doch eigentlich im Foyer des Theaters Chur. Von hinten leuchtet einem jemand mit einer Taschenlampe über die Schulter, weist den Weg durch Gestrüpp und kahle Baumstämme. Man folgt dem Lichtstrahl. Ist dort eine Lichtung? Die Wolfsschlucht?
Am Theater Chur kann man in die Welt von Max, Kaspar, Agathe und Ännchen eintauchen. Mitten in den «Freischütz» hinein, in diese romantische «erste deutsche Nationaloper», von Carl Maria von Weber 1820 komponiert, 1821 mit unglaublichen Erfolg uraufgeführt. Die beiden Medienkünstler Björn Lengers und Marcel Karnapke alias CyberRäuber haben daraus eine Virtual Reality Oper gemacht. 2019 feierte ihr «Digital Freischütz» Premiere am Badischen Staatstheater Karlsruhe, gastierte seitdem an zehn Orten, von Berlin bis Bangkok – und jetzt in Chur.
Dass ihre Oper in Pandemiezeiten das Projekt der Stunde ist, konnten sie letztes Jahr nicht ahnen. Lengers und Karnapke arbeiten seit 2015 an ihrem «Theater der virtuellen Realität» – und haben damit eine völlig neue Kunstform erschaffen. Ihre Projekte – aktuell arbeiten sie an ihrer zwölften virtuellen Inszenierung – bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Game, Theater und Virtual-Reality-Spektakel. Und eröffnen dadurch völlig neue Sichtweisen.
Mit VR-Brille im Gesicht, Kopfhörern auf den Ohren und dem Joystick in der Hand bewegt man sich durch die von ihnen erschaffenen virtuellen Welten. Man fliegt durch Klänge und Räume. Für ihren «Freischütz» haben sie vier 15-minütige Episoden realisiert, eine für jeden der vier Protagonisten Max, Kaspar, Agathe und Ännchen. Björn Lengers und Marcel Karnapke erzählen die «Freischütz»-Geschichte nicht linear. In Fragmenten nähert man sich den vier Protagonisten, ihren Motiven, ihren Freuden, ihren Ängsten.
Man folgt einer Art DNA-Strang, der sich zu einem riesigen Kranz windet – einem Totenkranz, wie aus abgestorbenen Wurzeln geflochten. Später manövriert man sich durch ein riesiges Labyrinth, einen Ausgang gibt es nicht. Dann ist man in einem Haus, dessen Dach und Wände aus funkelnden Sternen bestehen. Man taucht ein in die Klänge, in die Welten – stürzt sich hinab in den flammendroten Untergrund unter dem Haus, schwebt durch die Wände hinaus in einen Lichterwald, Webers Musik verschwindet, ein mulmiges Dröhnen wird lauter, je weiter man sich vom Haus entfernt. Das wird plötzlich kleiner und kleiner und kleiner, bis es ganz verschwunden ist.
Die perfekte Illusion sei nicht ihr Ziel, sagt Björn Lengers. Sie wollen keine perfekten Welten bauen, sondern eine Geschichte erzählen. Ihn freue es total, wenn Leute über diesen «Freischütz» Kontakt finden, Opernfreunde zur VR-Technology, Digital-Affine zur Oper. Und: Dieser Digital Freischütz ist auch für Virtual-Reality-Neulinge unbedingt geeignet.
«Digital Freischütz»: bis 27. November 2020, Theater Chur. Infos und Tickets auf theaterchur.ch
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