Die junge PopUp-Operetta bläst in Möriken mit «Wiener Blut» Corona den Marsch − und das erst noch auf Schweizerdeutsch.
«Burkhalter macht Affäre von Bundesrat Balduin Graf mit einer Sängerin öffentlich!» Die Schlagzeile ist kein Fake. Genau betrachtet liegt der besagten Affäre die Operette «Wiener Blut» von Johann Strauss zugrunde. Dafür, dass der Gesandte Balduin Graf Zedlau zum Bundesrat Balduin Graf mutierte, ist der 27-jährige Simon Burkhalter verantwortlich – und Corona.
Im Januar war definitiv geworden, dass die diesjährige Produktion der Operette Möriken-Wildegg «Eine Nacht in Venedig» vorläufig dem Virus zum Opfer fällt. Simon Burkhalter, der 2019 mit seiner Bearbeitung und Inszenierung von Lehars «Die lustige Witwe» einen überzeugenden Einstand in Möriken gegeben hatte, führt auch diesmal Regie. Die Idee, den Gemeindesaal nichtsdestotrotz zu bespielen, hatte ihn nicht losgelassen.
Der gebürtige Emmentaler – Prototyp eines dynamisch-kreativen Machers – fackelte nicht lange: Mit dem Regieassistenten Yves Ulrich holte er einen künstlerischen Weggefährten an Bord, zusammen riefen sie den Verein Pop-up-Operetta ins Leben und stampften innert kürzester Zeit das Projekt «Wiener Blu(e)t» aus dem Boden.
«Das Original glänzt durch eine unglaublich witzige Verwechslungsgeschichte und tolle musikalische Nummern. Allerdings zünden die Pointen im Original nur so richtig, wenn die Figuren Wiener Dialekt sprechen», sagt Simon Burkhalter.
«Kurzerhand habe ich mir einen lang gehegten Wunschtraum erfüllt: Eine der grossen Operetten endlich auf Schweizerdeutsch zu spielen!»
So wurde durch ihn und Ulrich aus dem Gesandten von Reuss-Schleiz-Greiz in Wien ein Bundesrat, wohnhaft in Längwyligen – irgendwo zwischen Hallwil und Möriken-Wildegg. «Die grosse Herausforderung beim Übersetzen und Bearbeiten war es, das hohe Tempo in den Sprechtexten zu halten. Ausserdem mussten wir passende Reime in den Gesangstexten finden, sodass auch gut singbare Worte auf den hohen Tönen liegen.»
Immerhin das Zusammenstellen eines Ensembles war in der aktuellen Situation kein Problem: «Alle Künstlerinnen und Künstler, die wir anfragten, waren unglaublich dankbar, Teil eines neuen Projekts zu werden», schwärmt Yves Ulrich. Die Produktion finanziert sich durch grosszügige Stiftungen und mehrere KMU aus der Region.
Ein grosser Teil des Budgets fusst aber auf den Ticketeinnahmen. «Da wir unsere Vorstellungen unter Zertifikatspflicht abhalten, können wir den Saal voll auslasten.» Nebst neuen Namen werden mit Andrea Hofstetter, Flurina Ruoss und Raimund Wiederkehr bekannte Gesichter zu sehen und vertraute Stimmen zu hören sein.
Bettina Setz war seit 2013 in jeder Produktion als Chormitglied mit von der Partie. Bei der Pop-up-Operetta nun hat sie eine ganz andere, zentrale Aufgabe übernommen: Sie ist verantwortlich für die Kostüme.
Für die angehende Kanti-Lehrerin war das ein Sprung ins, na ja, lauwarme Wasser. Immerhin hatte sie 2019 bei «Die lustige Witwe» ein Praktikum bei Gewandmeisterin Renate Tschabol absolviert. «Ich habe schon als Jugendliche gerne genäht. Meine Oma war Handarbeitslehrerin und hat mir ihre Nähmaschine vermacht, eine ‹Bernina›, die in den 80er-Jahren ein Top-Modell gewesen sein soll. Auf ihr arbeite ich immer noch», hält Bettina Setz, Jahrgang 1994, lachend fest.
Ihr Studium – Geschichte, Filmwissenschaft und Englisch – hat sie abgeschlossen. Zurzeit büffelt sie auf die letzte Prüfung fürs höhere Lehramt. An zwei Grundschulen unterrichtet sie aber schon jetzt Musik. Sie selbst spielt Cello und Klavier und hat bei Andrea Hochstetter Gesangunterricht genossen. Seit Februar dreht sich für Bettina Setz fast alles um Kostüme aus der Zeit um 1880, spielt die Pop-up-Version doch in derselben Zeit wie das Original.
Allein das Skizzenbuch der 27-Jährigen ist ein aufwendiges kleines Kunstwerk. Einige der Kostüme stammen zwar aus Verleihen, müssen von ihr aber angepasst werden. Besondere Kostüme werden von Setz massgeschneidert, etwa jene von Andrea Hofstetter als Tänzerin und Sängerin Franziska Cagliari – hier Fränzi. «Den Anfang macht ein handgenähtes Korsett, auf das eine Chemise mit Spitzen folgt, das ich mit gewachstem Leinenfaden applizieren musste.» Über das Kissen für den damals modischen «Cul de Paris» wird das den Bundesrat verführende «Fränzi» unter der Robe auch einen Unterrock voller Rüschen aus Seidentaft tragen. «Hätte ich den Stoff hier gekauft, hätte dies das Budget bei weitem gesprengt. Schliesslich wurde ich in Berlin fündig.»
Offiziell ein 30-Prozent-Job, sprengen Bettinas Akribie und Leidenschaft für die Aufgabe allerdings jeglichen zeitlichen Rahmen, dennoch strahlt sie Gelassenheit und Zufriedenheit aus: «Ich habe meinen Entscheid keinen Moment bereut.»
«Wiener Blu(e)t» 16.-30.10 Gemeindesaal Möriken, www.popup-operetta.ch