Der Pianist Nik Bärtsch hat seine akustische Formation Mobile mit Streichern reaktiviert. Das klingt meditativ und groovend.
Eigentlich gibt es hier keine Zugaben. Die Begeisterung im proppenvollen Club Berghain in Berlin war aber so gross, dass Nik Bärtsch und seine neunköpfige Band Mobile gleich zwei Encores spielen mussten. Der Berghain ist ein berühmter Club, in einem ehemaligen Berliner Kraftwerk, wo der Zürcher Musiker mit seiner Band und fünf Streichern in dieser Woche sein neues Album-Projekt «Continuum» vorstellte.
Berlin ist kein Einzelfall. «Nik Bärtsch ist einer der wenigen Schweizer Musiker mit internationaler Ausstrahlung», sagt Jean Zuber von Swiss Music Export. Der Pianist hat rund um den Globus gegen 100 000 Tonträger verkauft und wird auf der ganzen Welt gefeiert: In Japan, Südkorea, Indien, Iran, Afrika und sowieso in allen europäischen Ländern sowie den USA. Das «Wall Street Journal» zählte ein Konzert im «Poisson Rouge» in New York zu den Live-Highlights des Jahres, zusammen mit Leuten wie Björk, Radiohead oder Patty Smith. Nicht schlecht.
Dabei fällt eine stilistische Einordnung schwer. Bärtsch spielt oft an Jazzfestivals, doch seine Musik ist eigentlich das Gegenteil von Jazz. Die streng strukturierte Musik lässt kaum Freiräume zu, schon gar keine solistischen Exkurse. Statt des individuellen Ausdrucks des einzelnen Musikers steht der Gruppenklang im Vordergrund.
Die radikale Reduktion, die repetitiven Elemente und pulsierenden Muster erinnern an Minimal Music. Doch im Gegensatz dazu groovt Bärtschs Musik und wird von Rhythmen und Beats vorangetrieben. Im Zentrum stehen inzwischen 60 abrufbare Module, von Bärtsch auskomponierte Bausteine, die auch kombinierbar sind. Die Repetition ist entscheidend, sie schärft die Wahrnehmung für Nuancen und kleine Veränderungen.
Auf «Contiuum» ist das Modul 60 neu, sonst arbeitete die Band mit bekannten Modulen in neuen Kombinationen, Erweiterungen und Arrangements. «In den Stücken mit Streichern können wir die Module mit allen Melodiegeflechten zeigen. So wie sie ursprünglich komponiert waren», sagt Bärtsch. Das Geheimnis von Bärtschs Erfolg liegt in der Mischung von eingängigen, groovenden Mustern und komplexen Strukturen.
«Einfachheit ist oft komplexer als Komplexität», sagt Bärtsch. Dabei ist er kein esoterischer Träumer, sondern ein gewiefter, cleverer Musiker, der ganz genau weiss, wie man sich und seine Musik geschickt vermarktet. Bärtsch ist nicht nur musikalisch stilbildend, er ist auch eine Marke.
In den letzten Jahren spielte Bärtsch vor allem mit seiner elektrischen Band Ronin, die mit der Energie einer Rock- und Funkband die Clubs eroberte. «Mobile» ist näher an der klassischen Musik, das akustische, kammermusikalische Pendant, das Bärtsch reaktiviert hat. «Mit Mobile hat 1997 alles angefangen», sagt er. Ronin ist für die Konzertsituation in Clubs, Mobile für Rituale in Kunsthallen, Kirchen.
Um den Ritualcharakter zu betonen, stehen die Musiker im Kreis. Legendär waren die 36-stündigen Marathon-Performances vor rund 15 Jahren. Jetzt ist im Arts Center von Abu Dhabi ein zweitägiges Ritual geplant. «Ronin ist die Guerilla-Kampfmaschine, Mobile das Voodoo-Kammermusik-Ensemble». Mit Nik Bärtsch als Voodoo-Priester.
Nik Bärtsch’s Mobile Continuum (ECM/Musikvertrieb).
Live: 6. April Kirche Neumünster Zürich.