Neues Museum
Milliardär schenkt Paris ein monumentales Museum für Gegenwartskunst – das einzige Konzept: «His Master’s Choice»

Es wird eine prächtige neue Museumsmeile. Wo einst mitten in Paris Weizen lagerte, zeigt nun der französische Milliardär François Pinault Gegenwartskunst.

Stefan Brändle, Paris
Drucken
Im Innenhof des neuen Museums steht Urs Fischers Wachsskulptur mit dem Raub der Sabinerinnen.

Im Innenhof des neuen Museums steht Urs Fischers Wachsskulptur mit dem Raub der Sabinerinnen.

Christophe Petit Tesson / EPA

Die Jahre des Exils sind ausgestanden, François Pinault ist zurück in Paris. Jahrelang hatte sich der 84-jährige Unternehmer und Kunstmäzen mit seiner Stadt überworfen und seine Sammlung im Zorn nach Venedig ausgelagert. Am Pfingst­wochenende hat er aber nun an bester Lage in Paris die «Bourse de Commerce – Pinault Collection» eingeweiht. 50 Jahre lang wird er dort das Sagen haben. Um es vorwegzunehmen: Das Unternehmen ist geglückt. Pinault hat mit Marken wie Yves Saint-Laurent, Gucci oder Puma selber ein globalisiertes Vermögen gemacht und seinen Konzern längst seinem Sohn abgetreten. Die 45 Milliarden Dollar, die er laut Forbes daraus gezogen hat, investiert er heute in zeitgenössische Kunst.

Als er sie vor zwanzig Jahren in Paris zeigen wollte, brüskierte ihn die Stadt so lang, bis er seinem Land schliesslich beleidigt den Rücken kehrte und seine Sammlerstücke nach Venedig verfrachtete: 2006 kaufte er den Palazzo Grassi in Venedig, 2009 die Punta della Dogana.

Die 160 Millionen Euro Baukosten zahlte er selbst

Aber so ganz glücklich war keine Seite. Pinault umso weniger, als sein grosser Rivale in Sachen Geld und Kunst, der LVMH-Gründer Bernard Arnault, am Rand von Paris 2014 die «Fondation Louis Vuitton» eröffnete. Vielleicht brachte dies den französischen Exil-Veneter dazu, wieder Kontakt mit Paris aufzunehmen. Bald verfiel man jedenfalls auf die Idee der Handelsbörse, die meist leer war, ausser wenn sie an einzelnen Sonntagen als Wahllokal diente.

Blick in die oberen Ausstellungsräume: Im Vordergrund ein Gemälde der britischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye.

Blick in die oberen Ausstellungsräume: Im Vordergrund ein Gemälde der britischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye.

Christophe Petit Tesson / EPA

Die Idee war gut. Zumal Pinault für die Baukosten von 160 Millionen Euro allein aufkam. Weniger megaloman als die Vuit­ton-Stiftung im Stadtwald von Boulogne, ist die «Bourse de Commerce» ein harmonischer, obschon markanter Teil des historischen Stadtzentrums. Heute liegt die Pinault-Börse auf einer Linie vom Musée du quai Branly (aussereuropäische Kunst) und dem Musée d’Orsay (Impressionismus) bis zum Louvre und Centre Pompidou (Moderne). Und Pinault leistet mit seiner Handelsbörse einen gewichtigen zeitgenössischen Beitrag dazu. Dass die Ausstellungsfläche auf 13'000 Quadratmeter ausgedehnt werden konnte, ohne dass der Rundbau seinen Charakter verliert, ist Pinaults Lieblingsarchitekt Tadao Ando zu verdanken. Der 79-jährige Japaner pflanzte in die leere Rotunde einen knapp zehn Meter hohen, nach oben offenen Betonzylinder von etwas kleinerem Durchmesser. Damit schafft er Raum und Klarheit; zugleich wahrt er die Kreisstruktur und den unvergleichlichen Lichteinfall durch die Glaskuppel.

In diesem Licht prangt im Mittelpunkt des zentrierten Raums eine Skulptur von Urs Fischer. Ihre Eigenheit: Sie besteht aus Wachs, weshalb sie mit der Zeit und mit Hilfe einiger Dochte schmelzen wird. Der dargestellte Raub der Sabinerinnen war zwar schon in Venedig zu sehen gewesen.

200 Objekte – viele mit politischer Aktualität

Fischers Monument ist der gemeinsame Nenner, der Magnet der Kollektion. Danach geht es aufwärts über die Treppen zwischen den Zylinderschalen. Auf drei Stockwerken warten sieben Galerien. Das Museum zeigt insgesamt nur 200 Objekte, weshalb man sich nach dem Besuch auch nicht erschlagen fühlt. Ein Einheitsthema gibt es nicht, die Galerien führen ein eigenständiges Leben und greifen flexibel auf Pinaults gewaltigen Fundus von 10'000 Sammlerstücken zurück. Die Gestaltung ist so offen und frei, dass man fast meinen könnte, das einzige Konzept laute «His Master’s Choice». Immerhin ist Chefkonservator Pinault einer der einflussreichsten Händler zeitgenössischer Kunst. Er scheut auch vor der politischen Aktualität nicht zurück, und schafft einen scharfen Kontrast zum alten Gemäldepanorama der Börse, das auch die Missionierung halb nackter Dunkelhäutiger zeigt.

Sehr präsent sind mehrere deutsche Künstler, die Pinault seit langem verfolgt – Florian Krewer, Thomas Schütte oder Martin Kippenberger.

Eine Skulptur des deutschen Künstlers Thomas Schutte.

Eine Skulptur des deutschen Künstlers Thomas Schutte.

Christophe Petit Tesson / EPA

Mehr Platz als je in Europa – das behauptet zumindest das neue Museum – räumt Pinault den Werken von David Hammons ein. Der 78-jährige Afroamerikaner aus Chicago zerlegt kompromisslos schwarze wie weisse Alltagsobjekte vom Basketball über eine Haftzelle bis hin zum Fahrrad im Central Park. Auch das heimliche Meisterwerk der Ausstellung kommt aus Amerika: «Sesta» des jungen Brasilianers Antonio Obá erinnert an Van Goghs Weizenfelder, nur sind die Hauptpersonen im Mondlicht erstens ein junger Schwarzer mit einer Schere und zweitens eine verstörend dunkle Scharte im Korn, die sich bei näherem Hinschauen als Katze entpuppt.

Starke Momente vermitteln auch die Fotografien in der Galerie 3. Selbst Cindy Sherman muss sich in der verdichteten Auswahl mit einem Platz im Halbdutzend abfinden. Vielleicht auch, weil in Paris erst Ende 2020 eine ganze Sherman-Schau zu sehen gewesen war – organisiert von Pinaults Alter Ego Arnault.