Das Festival da Jazz hat mit dem Pianisten Brad Mehldau und dem Quartett des Sängers José James fulminant begonnen.
«Das Festival da Jazz in St. Moritz findet auf jeden Fall statt», sagte der Festivalleiter und amtierende Gemeindepräsident von St. Moritz, Christian Jott Jenny gegenüber CH Media schon im vergangenen März. Das Risiko hat sich gelohnt. Im Konzertsaal des Hotels Reine Victoria ist das Festival maskenlos gestartet worden.
Die Weisung «Geimpft, Genesen, Getestet» wird am Festival rigoros durchgesetzt. Wer noch nicht geimpft ist und keinen negativen Antigen-Test vorweisen kann, wird nicht reingelassen. Das ganze Prozedere sei zwar «etwas kompliziert und umständlich», sagte Jenny zum Festivalstart lachend, dafür sei es «das erste Festival mit Vermummungsverbot an den Konzerten». Das Festival da Jazz setzt auf Zertifikat. Zum Wohl des Konzertpublikums, denn auf diese Weise können die Konzerte ohne Maske genossen werden. Endlich können wir auch an Konzerten wieder frei durchatmen.
Seit seinem Durchbruch 1994 gilt der inzwischen 51-jährige Brad Mehldau als grosse Hoffnung des Piano-Jazz. Heute ist er auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft und der legitime Nachfolger von Bill Evans und Keith Jarrett. Umso erfreulicher, dass das Festival da Jazz diesen Giganten für das Eröffnungskonzert gewinnen konnte. Mehldau ist wie Jarrett einer europäischen Ästhetik verpflichtet und hat sich in letzter Zeit auch stark mit Komponisten wie Bach und Brahms beschäftigt. Bei seinem Solokonzert in St. Moritz griff Mehldau aber vor allem auf Fremdkompositionen aus der Schatzkiste der Popularmusik zurück. Eine Spezialität sind Bearbeitungen von Radiohead und den Beatles. Diesmal waren aber auch Stücke des Brasilianers Chico Buarque, David Bowie («Life On Mars»), Standards von Harald Arlen und Cole Porter sowie Thelonious Monks «Skippy».
Im Gegensatz etwa zu Keith Jarrett begann Mehldau seine Interpretationen, wohl aus Respekt gegenüber den Originalen, sehr nahe beim Ursprungsmaterial. Die Stücke waren für das Publikum sofort erkennbar. Mit raffinierten harmonischen Verschiebungen und gegenläufigen Melodielinien bewegt er sich weg vom Original und machte sich dadurch die Stücke zu eigen. Vermeintlich simple, volksmusikalische Stücke wie ein Bluegrass-Fidelstück verwandelte er in grosse Kunst. Genial wie er ein Bluesform mit kontrapunktischen Linien der linken Hand auflöste, um in einen Dialog mit der melodieführenden rechten Hand zu treten und doch wieder zur Bluesform zurückfand. Der Mann verfügt auch über einen phänomenalen Formsinn.
Der 1978 in Minneapolis geborene Sänger José James gehört zu jenen Musikern, die in den 90er-Jahren musikalisch sozialisiert wurden und den Jazz über den Hip-Hop entdeckten. Das wird auch im zweiten Konzert am Eröffnungsabend deutlich. Sein neues Quartett ist eine Wucht: Hat er sich doch mit Ashley Henry den angesagtesten Keyboarder aus der angesagten Südlondoner Jazzszene geangelt. Dazu Robin Mullarkey, Jacob Collerden Bassisten von Jacob Collier. Neben dem Bandleader den nachhaltigsten Eindruck hinterliess aber Drummer Richard Spaven. Auch er ist britisch, auch er hat seine Wurzeln hörbar im Hip-Hop und brachte mit seinen zeitgemässen Beats das altehrwürdige Reine Victoria zum Grooven.
Der Bandleader selbst flirtete virtuos zwischen den Genres und würdigte als Gast nicht nur die amerikanische Sängerin und Komponistin Talia Pnina Billig, sondern auch eines seiner grossen Idole: Den im letzten Jahr verstorbenen Sänger Bill Withers. James selbst verfügt über einen wunderschönen, samtenen Bariton. Herausragend waren aber seine improvisatorischen Exkurse, in denen er einen ganz eigenen rhythmisierten Gesang zwischen Rap-Freestyle und jazzigem Scat entwickelt hat.
Das Festival da Jazz in St. Moritz dauert noch bis am 1. August.