Klassik
Opernstar mit Gerechtigkeitssinn: «Musik und das Menschsein kann man nicht voneinander trennen»

Christina Daletska engagiert sich schon lange für Menschenrechte. Der Krieg im Heimatland der Sängerin macht dies dringlicher denn je.

Anna Raymann
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Opernstar Christina Daletska (37) sang in den letzten Tagen vor allem für den Frieden.

Opernstar Christina Daletska (37) sang in den letzten Tagen vor allem für den Frieden.

Christina Daletska /zvg

Eigentlich ist Daletska Opernsängerin, Mezzosopranistin, die auf den grossen Bühnen Europas steht. Am Opernhaus in Zürich etwa, im KKL, aber auch in der Berliner Philharmonie, in Venedig, Paris und an den Salzburger Festspielen. Der Krieg in der Ukraine hat diesen Alltag nun von Grund auf verändert, erzählt Christina Daletska.

«Jeden Tag wache ich auf und denke: Vielleicht heute, vielleicht ist heute alles vorbei. Aber das ist natürlich unrealistisch. Es wird kein magisches Ende dieses Krieges geben.»

Sie wurde 1984 in Lemberg in der Ukraine geboren, seit 2003 lebt sie in der Schweiz, wo sie zunächst als Orchestergeigerin arbeitete, um schliesslich bei Ruth Rohner Gesang zu studieren.

Ein Konzert mit Weltklasse-Musikern

In den letzten Wochen sang sie aber vor allem für den guten Zweck, um Spenden für die ­Ukraine zu sammeln. Kaum eine Woche nach Kriegsausbruch hatte sie mit befreundeten Musikern das erste Konzert veranstaltet. Seither gab es weitere in Zürich, Basel, Bern und Solothurn. «Was es aber in der Schweiz bis jetzt noch nicht gab, ist ein Konzert mit Musikern von Weltklasse. Der Opernsänger Rolando Villazón und der Dirigent Daniel Harding – zwei Musiker, mit denen ich oft zusammengearbeitet habe – haben mir sofort und mit Freude zugesagt», erzählt Daletska. Bevor es eine konkrete Ankündigung gebe, «jage» sie nach weiteren Namen. Bei allen Konzerten achtet sie darauf, dass auch russische Künstler beteiligt sind.

«Das erste Mal nach dem Ausbruch des Krieges musste ich weinen, als mich ein russischer Kollege nach einem Konzert umarmt hat.»

Es sei das falsche Signal, dass nun Veranstalter wie jüngst die Kartause Ittingen russische Musiker ausladen. «Ich verstehe diese Position bei Künstlern wie etwa Gergiev, die eine prorussische Haltung haben, nicht aber bei jenen, die sich explizit und bestürzt gegen den Krieg äussern. Musik kann Brücken bauen.»

Was Musik mit Menschenrechten zu tun hat

Christina Daletska ist eine Musikerin mit Haltung. «Künstler sollten nicht sagen: Ich mache meine Kunst und alles andere geht mich nichts an», sagt sie und hält sich dabei die Hände vor die Augen.

«Kunst, Musik und das Menschsein kann man nicht voneinander trennen. Schon Beethoven, Luigi Nono und viele andere haben sich stets klar positioniert.»

Seit vielen Jahren ist sie offizielle Botschafterin für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. An Konzerten platziert sie Infostände zu Aktionen und Kampagnen.

Und sie tritt nicht mehr in Ländern auf, in denen die Todesstrafe angewendet wird. «Daran halte ich mich konsequent. Letztes Jahr musste ich eine schöne Anfrage aus Japan aus diesem Grund ablehnen.» Ursprünglich hätte der Opernstar gerne Jura studiert. Aus finanziellen Gründen, so erzählt sie, war das damals nicht möglich gewesen. Schon mit 16 Jahren war sie beruflich als Violinistin beschäftigt. Das Engagement bei Amnesty International ermöglicht ihr nun, ihren Gerechtigkeitssinn – der, wie sie sagt, angeboren sei – sinnvoll einzusetzen.

Seit der Krieg ausgebrochen ist, genehmigt sich Christina Daletska kaum eine Pause. Auf allen Ebenen versucht sie den Menschen in der Ukraine, aber auch jenen, die aus der Ukraine in die Schweiz fliehen, zu helfen. Da sind zum einen die Lieferungen von Medikamenten, die sie organisiert. Fast täglich gebe es neue Listen, was vor Ort benötigt würde. Und zum anderen unterstützt sie Flüchtende auf ihrem Weg in die Schweiz. Schon zwei Busfahrten hat sie organisiert, die Frauen und Kleinkinder aus dem Kriegsgebiet hinausgefahren haben.

Musik spendet Trost und Zuversicht

Es ist eine ganz neue Arbeit. «Ich verbringe Stunden vor dem Bildschirm, beantworte Fragen. Es ist schön zu sehen, wie sinnvoll man die sozialen Netzwerke nutzen kann.» Das meiste organisiert sie privat zusammen mit Freunden, Kollegen oder kleineren ukrainischen Vereinen. Von der Regierung oder den Gemeinden alleingelassen fühle sie sich dennoch nicht. «Alle bemühen sich sehr. Ich kenne inzwischen einige Leute vom SEM, vom Kanton oder vom Bundesasylzentrum fast persönlich. In normalen Zeiten gibt es für jede Angelegenheit dieses und jenes Amt – im Moment sind wir eben alle dieses ‹Amt›.» Seit einigen Tagen ist eine ukrainische Frau mit ihrer Katze bei ihr zu Hause im Freiamt eingezogen.

Der Krieg hat so längst in die Schweiz gefunden. Auch wenn Lemberg, Heimatstadt von Christina Daletska, weitestgehend von Angriffen verschont geblieben ist, beginnt sie sich von ihr zu verabschieden. Wenn die Musik auch keinen Krieg verhindern kann, so kann sie immerhin trösten. Welche Musik sollte man jetzt also hören? «Beethoven!», sagt die Sopranistin, «Die Missa Solemnis von Beethoven. Es ist, als hätte er beim Komponieren dieses Werkes von all dem gewusst, was heute passiert.»

Die Hörempfehlung von Christina Daletska: Die Missa Solmenis von Beethoven.

hr Sinfonieorchester / youtube

Benefizkonzert: 25.5. Bourbaki-­Panorama, Luzern