Es war lange eine Sache von Freaks, heute übersteigt die Nachfrage das Angebot um das Zwei- bis Dreifache. Das Warten auf Vinyl kann in der Schweiz inzwischen 40 Wochen dauern. Die Langspielplatte lohnt sich wieder, die Firma Adon steigt wieder in die Produktion ein.
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Niemand, wirklich niemand hätte Anfang der 90er-Jahre auf die gute alte LP gewettet. Ab 1988 vom digitalen Silberling Compact Disc verdrängt, brach der Verkauf ein. Plattenfirmen strichen die Vinyltitel aus ihrem Programm, die LP war klinisch tot.
In den Nischen von Techno und Hip-Hop erlebte die LP gegen die Jahrtausendwende ein kleines Comeback. Doch Vinyl blieb ein kurzlebiges Phänomen von Freaks. Erst ab 2007 nahm die Nachfrage in der westlichen Welt wieder leicht zu. Anteilmässig dümpelte die LP aber immer noch im tiefen einstelligen Bereich, weshalb die Musikindustrie gegenüber der LP reserviert blieb. Der Trend wurde als vorübergehendes modisches Aufflackern interpretiert. Vor allem scheute die Musikindustrie die grossen Investitionen. Denn in den 90er-Jahren wurden die meisten Presswerke geschlossen. Auch in der Schweiz gab es seither kein Presswerk für Vinyl mehr.
Sony war das erste Majorlabel, das 2018 wieder begann, Schallplatten zu produzieren. Die Majors haben sich zunächst auf die Neuauflage von Albumklassikern konzentriert. Heute kurbeln sie den Vinylboom auch mit aktuellen Veröffentlichungen von Vinylalben an, um die Chartpositionen ihrer Künstler zu verbessern. Längst gibt es Vinylcharts, und Musikmagazine widmen sich Vinylveröffentlichungen. Taylor Swift hat im Juni mit ihrer LP «Evermore» und 102000 verkauften Einheiten den Rekord gebrochen. Noch nie seit 1991 wurden in einer Woche so viele LP-Alben einer Künstlerin verkauft.
Vinyl kann heute nicht mehr übergangen werden, die Nachfrage ist explosionsartig gestiegen. Weltweit wächst der Vinylmarkt pro Jahr um 22 Prozent. In den USA wurden in der ersten Jahreshälfte 2021 erstmals seit den Achtzigerjahren wieder mehr Vinylalben als CDs verkauft. Die LPs machen gemäss «The Recording Industry Association of America» 62 Prozent der Umsätze mit physischen Tonträgern aus – Tendenz steigend. Auch in Deutschland hat der Umsatz von Vinyl im letzten Jahr markant, um 25 Prozent, zugenommen. Dazu kommt der boomende Vinylhandel auf Discogs & Co. Gemäss einer Untersuchung des Beratungsunternehmens Deloitte hören wieder fast 40 Prozent der Deutschen Schallplatten, 12 Prozent mindestens einmal in der Woche.
In der Schweiz ist man noch nicht auf diesem Niveau. Doch auch die aktuellen Halbjahreszahlen des Branchenverbandes IFPI Schweiz zeigen steil nach oben. Gegenüber dem Vorjahr hat der Umsatz um 42 Prozent zugenommen. Das entspricht zwar immer noch nur 30 Prozent des physischen Umsatzes und bescheidenen 4,1 Prozent des gesamten Tonträgermarktes.
Doch die Nachfrage ist viel grösser. Ein globales Problem: Die Vinylnachfrage ist inzwischen so gross, dass die Presswerke überfordert sind. «Die Nachfrage ist weltweit zwei- bis dreimal so hoch wie das Angebot», sagt Jeff Bell von Partisan Records im «Guardian». Die Vinyl-Pipeline ist auch in der Schweiz akut verstopft. Schweizer Bands und Musiker erhalten heute innerhalb von zehn Tagen ihre CD, auf ihren Longplayer müssen sie bis zu 30 Wochen warten.
«Ein unhaltbarer Zustand», sagt Andreas Krüsi, CEO, Member of the board und Mitinhaber der Produktionsfirma Adon im aargauischen Neuenhof. Adon steigt deshalb wieder in die Vinylproduktion ein. Eine erste Maschine, eine Warmtone-Vinylpresse des kanadischen Industrieanlagenanbieters Vyril Technologies, ist unterwegs und trifft im Herbst in Neuenhof ein. Zwei weitere Maschinen sind eingeplant, aber noch im Bau.
Adon ist damit die erste und einzige Firma in der Schweiz, die wieder Vinylschallplatten produziert. «Wir lassen damit ein uraltes Handwerk in der Schweiz aufleben», sagt Krüsi stolz und sagt weiter:
«Ich persönlich war schon immer ein grosser Vinylfan.»
Er betont aber, dass der jetzige Investitionsentscheid «keine Liebhaberei» sei. Die Investition basiert auf kommerziellen Gründen. «Wir glauben an die Zukunft von Vinyl», sagt er.
Die Adon Production AG hat die wechselhafte Geschichte der Tonträgerbranche miterlebt. Seit 1984 produziert die Firma für den Schweizer Musikmarkt, hat 1991 im Werk in Diessenhofen mit der Produktion von CDs begonnen und erlebt, wie die CD die LP verdrängte. In einer Expansionsphase ab 2000 hat Adon Schweizer CD-Presswerke aufgekauft. Weil die Schweiz nicht mehr konkurrenzfähig war, wurde die Pressung der CD-Scheibe 2014 ins Ausland, zu Sony DADC in Österreich, ausgelagert. Jetzt findet die Gegenbewegung zurück zu Vinyl statt, weshalb Adon im Herbst wieder mit der Vinyl-Produktion beginnen wird. Der Vinyl-Anteil nimmt bei Adon stark zu und steht schon heute bei 15 Prozent des Umsatzes. «Vinyl ergänzt die Produktepalette ideal», sagt CEO Andreas Krüsi.
Interessant ist daneben die Entwicklung der Musikkassette. Adon hat 1984 mit der Produktion begonnen. Und wie die LP ist auch die Musikkassette immer wieder totgesagt worden. Doch in der Nische, zum Beispiel für Märlikassetten, lebte sie über die Jahre weiter. Heute erlebt sie in der Metalszene ein Revival. «Es ist und bleibt eine Nische», sagt Krüsi, «aber die Produktion mit mehreren hunderttausend Kassetten pro Jahr hat sich für uns immer gelohnt.» (sk)
Adon Production verkauft ihren Kunden schon seit sieben Jahren Vinylschallplatten. Der Anstoss kam von Musikern und Bands, die neben ihren CDs auch noch LPs pressen wollten. Weil es in der Schweiz aber kein Presswerk mehr gab, wurde der Auftrag jeweils an Partnerfirmen in Deutschland oder Frankreich vergeben. Die Nachfrage ist heute aber so gross, dass sich die Eigenproduktion wieder lohnt. «Inzwischen macht Vinyl 15 Prozent unseres Umsatzes mit Tonträger aus», sagt Krüsi. Und er wäre noch um einiges grösser. Er erklärt:
«Die lange Wartefrist hat viele Bands und Musiker davon abgehalten, auf Vinyl zu setzen.»
Adon passt sich bei der Produktion den Schweizer Bedürfnissen an. «Wir konzentrieren uns auf Einzelbestellungen in der Grössenordnung von 200 bis 2000 Stück», sagt Krüsi. Die Massenfabrikation überlässt er den grossen Presswerken im Ausland. «Das ist unsere Chance. Kleinere Aufträge sind für grossen Firmen nur störend. Weshalb wir auch auf Aufträge in diesem Bereich aus dem Ausland zählen dürfen», sagt Krüsi zur Strategie.
Zunächst werden aber die Bedürfnisse der Schweizer Kundschaft gedeckt. Ab Oktober wird in Neuenhof gepresst, und als erste Schallplatte läuft die neue Langspielplatte von Philipp Fankhauser «Watching From The Safe Side» von der Maschine. Viele weitere Schweizer Musiker sind auf der Reservationsliste registriert.
Interessant ist, dass nicht nur ältere Jahrgänge aus Nostalgiegründen die Schallplatte wiederentdeckt haben. Gemäss der Deloitte-Studie ist die Popularität in allen Alterssegmenten konstant hoch. Besonders eindrucksvolle Zuwächse sind in den mittleren Altersgruppen zu beobachten. «Die Konsumenten werden immer jünger», bestätigt Andreas Krüsi.
Gemäss dem deutschen Bundesverband der Musikschaffenden wächst die Käuferschicht der 20- bis 30-Jährigen pro Jahr um rund 1 Prozent und macht inzwischen schon 12 Prozent aus. Und knapp hinter den 50- bis 60-Jährigen (30 Prozent) sind die 30- bis 39-Jährigen mit 29 Prozent inzwischen die zweitgrösste Käuferschicht. Krüsi stellt eine Verschiebung von den Alten zu den Jungen fest. Was sind die Gründe für diese Verschiebungen, für diesen markanten Nachfrageboom? Was hat die gute alte Schallplatte, was der CD oder dem Streaming fehlt?
Hörerlebnis: Der Vinylboom ist auch als Gegenreaktion auf den Digital-Trend zu sehen. Viele Hörer empfinden den Vinylklang als angenehmer und wärmer als den digitalen. Vor allem das Hörerlebnis ist ein anderes. Das Streaming hat etwas Flüchtiges und Vergängliches. «Du hörst eine ganze Seite am Stück. Du kommst gar nicht in Versuchung, ein Stück zu überspringen oder zu einem anderen Lied zu wechseln wie bei der CD oder dem Streaming. Du hörst viel bewusster und intensiver. Wie an einem Konzert», erklärt Andreas Krüsi. Die LP stillt die Sehnsucht nach einem qualitativ besseren Hör- und Nutzungserlebnis. Der wirkliche Musikfreund hört den Longplayer.
Emotionalität: Das Digitale baut nie dieselbe emotionale Bindung des Hörers zum Werk eines Künstlers auf wie das Physische. Ein Album ist ein geschlossenes Werk, ein Resultat eines Künstlers in einer bestimmten Phase seines Lebens. Es ist viel aussagekräftiger als ein einzelner Song und schafft eine viel grössere Beziehung vom Hörer zum Musiker. Das physische Album ist ein emotionales Produkt, das den Sammeltrieb des Menschen stillt.
Adon-CEO Andreas Krüsi stellt für verschiedene Schweizer Stars Vinylplatten her. Hier posiert er mit dem Album von Steff La Cheffe.
Profit: Vom Streaming profitieren nur Musikerinnen und Musiker, die ihre Musik weltweit vertreiben und verkaufen können. In der Schweiz ist das praktisch niemand. Die meisten Musiker in der Schweiz leben von Konzerten. Wer an den Konzerten direkt LPs oder CDs an die Konzertbesucher verkauft, verdient über das Physische viel, viel mehr als über Streaming. Musikerinnen und Musiker haben also jedes Interesse, weiter auf das Physische zu setzen.
Exklusivität: Streaming ist für alle und jeden verfügbar. Die Schallplatte stillt dagegen das Bedürfnis des Musikfreunds auf Exklusivität und Einzigartigkeit. Angesprochen werden auch Musikliebhaber, die sich im Luxus- und Premiumsegment etwas leisten wollen: Limitierte nummerierte Editionen mit aufwendigen Covers, farbigem Vinyl, Bonusmaterial und speziellen Gadgets. Das Album hat im Gegensatz zum Streaming einen Wert und drückt gegenüber den Künstlern jene Wertschätzung aus, die Streaming verloren hat.
Trotz der aktuellen Vinyleuphorie muss man realistisch bleiben. Vinyl wird das Streaming nicht verdrängen. Die Masse wird den Zugang zu Musik weiterhin über die günstigen Streamingportale suchen, sie werden die wichtigsten Treiber für den kommerziellen Vertrieb von Musik bleiben. Denkbar ist für Andreas Krüsi, dass die LP die CD wie in den USA wieder überholen wird. Doch er geht davon aus, dass es auch die CD auf tieferem Niveau weiter geben wird. Denn die Herstellungskosten sind für CDs wesentlich geringer. Sie ist profitabler, die Marge für die Musiker grösser.
Bremsen könnten den Vinylboom die markant steigenden Preise. Denn die grosse Nachfrage sowie der Rohstoffmangel für Polyvinylchlorid (PVC) haben gerade zu einem massiven Preisanstieg geführt. Krüsi sagt:
«Es gibt Labels, die gegenüber den Händlern über 100 Prozent aufgeschlagen haben.»
Weil Marge und Spielraum für die Händler nicht gross sind, muss der Konsument den Aufpreis berappen. Die Doppel-LP «The Köln Concert» von Keith Jarrett, zum Beispiel, kostet bei cede.ch 37.90 Fr., bei ex libris sogar 42.90 Fr. (CD 21.90 Fr.). «Das ist unsere Sorge beim Vinyl. Irgendwann ist die Ware nicht mehr verkaufbar. Es ist wichtig, dass hier eine Balance gefunden wird», sagt Krüsi.
Trotzdem: «Das Comeback der Schallplatte ist kein vorübergehendes Intermezzo», heisst es in der Deloitte-Studie «Come back and stay», Vinyl wird bleiben.