Am 21. Juni wird die 15. Ausgabe des Theaterfestival Figura in Baden eröffnet. Die Co-Leiterinnen Eveline Gfeller und Irène Howald über belebte Gegenstände, die schwierige Suche nach neuen Stücken während der Pandemie und die Inklusionsbemühungen des Festivals.
Am ehemaligen Pop-up-Standort der beliebten Burgerbar Manito haben die beiden Festivalleiterinnen ein temporäres Festivalbüro eingerichtet. Manchmal blicken hungrige Passanten verwirrt durch die Scheibe, erklären die Frauen bei unserem Treffen. Wer Hunger auf neue Seherfahrungen hat, ist beim Figura Theaterfestival definitiv an der richtigen Adresse.
Eveline Gfeller und Irène Howald, in einem meiner Lieblingspodcasts unterhalten sich Menschen mit Objekten. Ist das Figuren- und Objekttheater auch deshalb so magisch, weil es den Dingen auf Augenhöhe begegnet?
Eveline Gfeller: Im normalen Leben weiss ich jetzt nicht, ob das hier (schüttelt mit ihrem Schlüsselbund) ein gleichwertiger Gesprächspartner wäre (lacht)...
Irène Howald:...aber da ist schon was dran! Im Objekttheater bekommt jedes Ding eine Seele. Man nimmt einem Löffel alles ab, wenn er in einem Stück gut animiert wird.
Figurentheater ist für viele immer noch das Kasperlitheater ihrer Kindheit. Wie begegnen Sie solchen Vorurteilen?
Gfeller: Viele kennen es nicht anders. Auch ich bin als Kind ins Kasperlitheater gegangen. Das Figurentheater für Erwachsene lernte ich erst während meines Studiums kennen. Dabei kann Figurentheater so viel! Ein Beispiel dafür ist unsere Eröffnungsinszenierung «Moby Dick» von der Compagnie Plexus Polaire. Allein schon das riesige Personal des Romans könnte man im Sprechtheater niemals abbilden. Das Filmische des Textes, die vielen Perspektivwechsel lassen sich mit Figurentheater hervorragend umsetzen. Das ist ein Mehrwert. Wenn man den mal erlebt hat, wird man Fan und bleibt es auch.
Howald: Es lassen sich mit Figuren viel drastischere Szenen spielen, Mord und Totschlag zum Beispiel. Das Potenzial dieser Kunstform haben inzwischen auch professionelle Sprechtheaterbühnen erkannt. Puppen haben auch dort immer häufiger Gastauftritte.
Was verstehen Sie unter Figuren- und Objekttheater?
Gfeller: Ganz generell ein Theater der Dinge. Wir führen im Festivaltitel aber auch bewusst das Schlagwort Bildertheater. Alle Inszenierungen, in denen der Mensch nicht im Mittelpunkt steht, gehören dazu. Im Zentrum stehen Töne, Licht, etwas Greifbares oder auch nur Gedanken. Viele Inszenierungen spielen sich in den Köpfen des Publikums ab, etwa das Projekt «The Kiss», wo der Zuschauer körperliche Nähe zulassen muss, was das eigene Kopfkino in Gang setzt.
Sie machen seit 2018 in Zusammenarbeit mit Pro Infirmis Inszenierungen für Menschen mit Beeinträchtigungen aller Art niederschwellig zugänglich. Was hat Sie motiviert, diesen Weg zu gehen?
Howald: Wir wollten aus dem Heute heraus, aus der Mitte der Gesellschaft aktiv werden. Wir sind keine Traditionalistinnen, die etwas tun, nur weil es immer schon so funktioniert hat. Als uns bewusst wurde, wie viele Menschen ausgeschlossen werden mit einem herkömmlichen, nicht inklusiven Programm, war das für uns keine Frage mehr. Wir wurden auf diesem Weg von einer Begleitgruppe aus Betroffenen beraten.
Gfeller: Figurentheater ist geeignet für Inklusion, da es bildstark ist und viele Stücke ohne Text auskommen. Das macht es auch für Menschen mit Hörbehinderung oder Menschen mit wenig Deutschkenntnissen zugänglich. Da wir viele Veranstaltungen im Freien durchführen erreichen wir auch Menschen, die normalerweise nie ein Theaterfestival besuchen würden.
Verstehen Sie unter Inklusion auch, dass Menschen mit Beeinträchtigungen auf der Bühne stehen?
Gfeller: Unsere letzte grosse Festivalausgabe 2018 hatten wir mit «Meet Fred» eröffnet, einem Projekt des inklusiven Ensembles Hijinx. Wir hätten gerne wieder so eine Gruppe eingeladen. Doch ihre Zahl ist beschränkt. Erschwerend hinzu kam die Pandemie: Es wurde viel weniger gespielt und produziert.
Howald: Wir haben den Anspruch, dass diese Projekte künstlerisch auf Augenhöhe mit den anderen Produktionen sind.
Sie bieten erstmals Live-Audiodeskriptionen für Blinde an. Mussten Sie die selbst erarbeiten?
Howald: Wir besassen lediglich französische Fassungen. Da wir die Stücke auf Englisch mit deutschen Untertiteln zeigen, mussten wir sowohl die deutsche Übertitelung als auch eine verkürzte Fassung für die Live-Audiodeskription erarbeiten – ein sehr intensiver Prozess.
Eigentlich hätte das letzte Figura 2020 stattfinden sollen. Stattdessen führten Sie 2021 wegen der Pandemie ein kleines Ersatzfestival durch. Haben Sie das alte Programm ins Jahr 2022 hinübergerettet?
Gfeller: Nein, darauf hatten wir keine Lust. Normalerweise sichten wir neue Stücke bereits zwei Jahre im Voraus. Wegen der Pandemie fiel ein Jahr Vorbereitung weg. Das erste internationale Festival, welches wir besuchten, fand im Mai 2021 unter strengen Auflagen in Spanien statt. Etliche Festivals sind verschoben oder abgesagt worden. Aber wir haben trotzdem eine stattliche Zahl neuer Stücke entdeckt. Vieles reflektiert die Pandemieerfahrung. Das Stück «Reflex» für eine Zuschauerin oder einen Zuschauer etwa, oder «Viva Plastika», das man zu zweit in einem Tourbus besuchen kann.
Der Nachwuchspreis Grünschnabel wird dieses Jahr zum zehnten Mal verliehen. Ist ein spezieller Festakt geplant?
Howald: Bei der Verleihung am 26. Juni werden wir ein Video mit sämtlichen Preisträgerinnen und Preisträgern zeigen. Es ist schon eindrücklich zu sehen, was für eine Karriere diese Gruppen hingelegt haben.
Figura Theaterfestival 21.6.–26.6. Diverse Standorte in Baden und Umgebung. Tickets: www.figura-festival.ch
Weit gereist wie ihre Protagonisten ist diese gefeierte Inszenierung der Compagnie Plexus Polaire. Herman Melvilles Roman «Moby Dick» wird mit 50 Puppen, sieben Spielern, Videoprojektionen und düsterer Livemusik in Szene gesetzt. Di, 21. 6., 19.30 Uhr, Kurtheater Baden.
Die sich vom Western über Sci-Fi an den verschiedensten Filmgenres abarbeitende Compagnie Bakélite ist dreimal am Figura Festival vertreten. Im Objekttheater «Star Show» werden die Zuschauer zu Weltraumpionieren. Mi, 22. 6., 17, 19 und 21 Uhr, Teatro Palino, Baden.
Die australische Strassentheatertruppe Snuff Puppets lässt in der Badener Innenstadt menschengrosse Körperteile herumspazieren. Passanten, aufgepasst! Sa, 18. 6., 9/11 und 14 Uhr. Mi, 22. 6., 12.30, 16.30, 18 Uhr. Baden, Weite Gasse, Schlossbergplatz, Badstrasse.
Einer Schwangeren in den Bauch schauen? In einer von Shakespeare inspirierten Inszenierung der Compagnie Hold Up! eröffnet diese Möglichkeit eine ganz neue Perspektive auf unser Werden und Sterben. Do, 23. 6., 20 Uhr, Nordportal Baden. (jst)