Literatur
Die Stimme eines menschenfreundlichen Erzählers: Dem Aargauer Schriftsteller Urs Faes zum 75. Geburtstag

Dinge, die gern verdrängt oder verschwiegen werden, sind das bevorzugte Terrain des Romanciers Urs Faes. Beharrlich sucht er nach einer angemessenen Sprache für Verluste, versäumtes Lebensglück, Hinfälligkeit, das Schwinden des Gedächtnisses – und kommt dabei dem Menschen nahe, ohne ihm zu nahe zu treten. Am 13. Februar feiert Faes seinen 75. Geburtstag.

Bettina Kugler
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Nahe an seinen Figuren, sprachlich behutsam unterwegs: Der 1947 in Aarau geborene Schriftsteller Urs Faes.

Nahe an seinen Figuren, sprachlich behutsam unterwegs: Der 1947 in Aarau geborene Schriftsteller Urs Faes.

Bild: Sandra Ardizzone

Er muss viel zu Fuss unterwegs sein. Nicht als Flaneur, auch nicht als Wanderer oder Spaziergänger wie der neugierige Franz Hohler, der aus seinem Unterwegssein ein eigenes Genre gemacht hat: laufend Ausschau haltend nach Merkwürdigem und Erzählenswertem. Bei Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, in einem calvinistisch strengen Umfeld, sind die Schritte behutsamer, wie überhaupt sein Schreiben. Nicht zufällig beginnen viele seiner Romane und Erzählungen im Gehen oder in einem Moment des Stehenbleibens und Wartens. «Sie war jetzt allein. Niemand mehr würde kommen», heisst es im 2020 erschienenen Roman «Untertags», der vom schmerzhaften Verschwinden eines geliebten Menschen in der Gedächtnislosigkeit der Demenz erzählt. Oder: «Ich wartete. Ich war mit niemandem verabredet» in «Liebesarchiv» (2007).

Schwer sind die Schritte des Mannes, der in der Novelle «Raunächte» (2018) in sein Heimatdorf im Schwarzwald zurückkehrt. Er ist unheilbar krank, ein dunkles Geheimnis lastet ihm auf den Schultern. Wie Urs Faes die Natur zu Wort kommen lässt in dieser dichten, sinnlich verknappten Erzählung, wie er aus Andeutungen eine komplexe Geschichte nachzeichnet, erinnert an die Meisternovellen des 19. Jahrhunderts, auch an Wilhelm Hauffs Schwarzwaldmärchen «Das kalte Herz». «Er setzte Fuss vor Fuss, als müsste jeder Tritt einen Abdruck hinterlassen im Schnee»: In diesem Eingangsbild des einsamen Wanderers auf der Suche nach dem Versäumten und Verschwiegenen kann man durchaus den Autor Urs Faes erkennen. Auch wenn er die Geschichte eines anderen erzählt.

Ein zugänglicher Autor, der gut zuhört und genau hinsieht

«Einer wie Lenz im Labyrinth» nennt ihn denn auch Schriftstellerkollege Markus Bundi in seinem zum 75. Geburtstag von Urs Faes geschriebenen Essay: ein Titel für Kenner und Belesene, die gleich an Georg Büchner denken, an dessen Erzählung über die winterliche Wanderung des Dichters Lenz «übers Gebirg'». Urs Faes selbst stellt freilich nie solche Leitern oder Hürden auf vor seinen Texten. Gerade weil er so viel Wert auf sprachliche Genauigkeit legt, jedes Wort abklopft und seine Sätze musikalisch rhythmisiert, lesen sich seine Bücher leicht. Viele seiner Titel haben einen zweiten, tieferen Sinn.

Dabei geht es nicht selten um traumatische Erlebnisse, um gescheiterte Beziehungen, die Hinfälligkeit und Verwundbarkeit. «Vulnerabel», das Wort, das in der Pandemie plötzlich ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist, kennzeichnet von Faes geschaffenen Figuren. Besonders augenfällig in den beiden Büchern, die nach seiner Zeit als beobachtender, begleitender Schriftsteller auf der Radioonkologie entstanden sind: zunächst der Roman «Paarbildung» (2010), in welchem ein Psychotherapeut nach Jahren seine einstige Geliebte im Spital wiedersieht. Sie ist an Brustkrebs erkrankt, er soll sie psychologisch unterstützen.

Er traut den Worten viel zu

Empathisch und mit hochpräziser Sprache versetzt sich Urs Faes in die Haut von beiden und bewegt sich trittsicher in einem Umfeld, das die meisten Menschen nur allzu gern meiden. Er selbst erlebte später auch die andere Seite: in «Halt auf Verlangen» (2017) hat er über die eigene Krebserkrankung geschrieben, ungeschönt, aber nicht wehleidig, in einem «Fahrtenbuch». Auf dem immergleichen Weg im Tram zur Klinik verband sich die Gegenwart der Strahlentherapie mit Erinnerungssplittern aus der Kindheit, mit Gedanken an vorausgegangene Verluste.

Dinge, über die schwer zu reden ist, sind das bevorzugte Terrain des bedächtigen Wanderers und aufmerksamen Beobachters Urs Faes. Er ist keiner, der sich lautstark in literarische oder gesellschaftliche Debatten einmischt, keine schrille Stimme im Literaturbetrieb. Eher ein vorsichtiger, hellhöriger und sehr sensibler Zuhörer, der als Erzähler Worten viel zutraut. Er kommt dabei dem Menschlichen und den Menschen, die er schreibend erschafft, so nahe wie nur möglich. Ohne ihnen zu nahe zu treten.