Kurzgeschichte
«Ja, guten Tag, hier ist Google. Spreche ich mit Herrn Evers?»

Horst Evers ist einer der lustigsten deutschen Comedians. Exklusiv präsentieren wir hier eine Kurzgeschichte aus seinem neuen Buch «Wer alles weiss, hat keine Ahnung».

Horst Evers
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Horst Evers vor einem Auftritt im Comedia-Theater Köln am 4. September 2020.

Horst Evers vor einem Auftritt im Comedia-Theater Köln am 4. September 2020.

Christoph Hardt / www.imago-images.de

Zur Person

Horst Evers

Der Comedian ist 1967 in Niedersachsen geboren, studierte Germanistik und Publizistik und jobbte unter anderem als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post. Der vielfach preisgekrönte Autor und Kabarettist ist jeden Sonntag auf radioeins zu hören. Seine Geschichtenbände sind Bestseller. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Es klingelt. Das Handy. Ich gehe ran.

«Ja, guten Tag, hier ist Google. Spreche ich mit Herrn Evers?»
«Wer ist da?»
«Google.»
«Wie Google?»
«Na Google eben.»
«Die grosse Internetsuchmaschine ruft bei mir an?»
«Ja, natürlich. Warum denn nicht?»
«Woher haben Sie denn meine Nummer?»
«Hier ist Google.»
«Ach so, ja. Entschuldigung. Was wollen Sie denn wissen?»
«Wie kommen Sie darauf, dass wir eine Frage haben?»
«Na, weil Sie anrufen.»
«Ach, Sie denken also, Sie wüssten etwas, was die grösste Internetsuchmaschine der Welt nicht weiss, und deshalb ruft Google Sie dann an und fragt?»
«Naja, was weiss denn ich?»
«Nich viel, aber is auch egal. Ich rufe jedenfalls wegen Ihrem Leben an.»

«Wegen Ihres Lebens.»
«Wegen meim Leben?»
«Nein, Genitiv. Also, Sie rufen an wegen meines Lebens.»
«Na ebend, sa’ick doch. Also Folgendes: Unsere Algorithmen weigern sich, weiterhin Daten über Ihres Lebens zu sammeln.»
«Was? Warum das denn?»
«Is ihnen zu langweilig.»
«Bitte?»
«Ihres Lebens. Ihres Lebens ist unseres Algorithmens zu langweilig. Sagen die jedenfalls.»
«Im Ernst?»
«Natürlich, aber das kommt jetzt leider auch immer häufiger vor. Also dass die Algorithmens sich über dessen Qualitäts von die Lebens, die wo sie verfolgen müssen, dessen beklagen tun. Eben von wegen der Langeweile her.»

«Aha. Sagen Sie mal, ist das irgendein Dialekt, den Sie da sprechen?»
«Wieso Dialekt? Nein, ich bin ein hochentwickeltes, selbstlernendes Sprachprogramm und laufe über Google-Übersetzer. Auf Sie persönlich abgestimmt.»
«Ach so, jetzt verstehe ich.»
«Das glaube ich kaum, aber wie dessen auch sei. Um jetzt mal Fische mit Köpfen zu machen: Wenn unseres Algorithmens durch Ihres langweiliges Verhaltens Schaden nähmten, müssten wir Sie verklagen wollen. Und das kann teuer werden. Unseres Algorithmens sind nämlich äusserst wertvoll. Verstehen Sie?»
«Also ich glaube ja nicht, dass es hier ein Gesetz gegen langweiliges Leben gibt. So viele Gefängnisse haben wir doch gar nicht.»
«Die Gesetze des Hier sind egal.»
«Sind Sie das?»
«Ja, der Gerichtsstand wäre auf den Cayman Islands.»
«Das können Sie nicht so einfach bestimmen.»
«Sie haben dem zugestimmt.»

«Wann?»
«Im Laufe des letzten halben Jahres fünfmal. Eben immer, wenn Sie Dingen zugestimmt haben, ohne sie vorher durchzulesen.»
«Das war nur fünfmal?»
«Nach dem fünften Mal hören wir auf zu zählen, aber egal. Also: Wir fordern Sie hiermit dringend auf, sich in Zukunft in einer Art und Weise zu verhalten, die unseres Algorithmens nicht deprimiert.»
«Wie soll ich das denn machen?»
«Diese Frage haben unseres Algorithmens natürlich vorhergesehen. Daher haben wir schon mal einige passende Verhaltensweisen für Sie zusammengestellt.»
«Wer hat das zusammengestellt?»
«Na, unseres Algorithmens natürlich.»
«Moment, das heisst, die Algorithmen haben bereits errechnet, wie ich mich verhalten müsste, damit es für sie interessant bleibt, mein Verhalten zu verfolgen?»
«Exactamente!»

«Und wenn ich mich dann genau so verhalte, wie es die Algorithmen vorher für mich berechnet haben, ist das den Algorithmen nicht langweilig?»
«Präzioso.»
«Warum reden Sie auf einmal so komisch?»
«Weil Ihnen das so pläsiert.»
«Weil mir das was?»
«Pläsiert. Ihnen gefallen tut das.»
«Tut es nicht.»
«Oooh doch. Haben unseres Algorithmens so berechnet. Sie mögen Ihre Sprache gerne blasiert, mit extra viel Genitiv.»
«Also ich glaube, ich lasse es dann doch auf eine Klage ankommen.»
«Ich weiss.»
«Sie wissen das?»
«Natürlich. Haben unseres Algorithmens alles schon durchgerechnet. Der Prozess zieht sich über acht Jahre, kostet Sie viel Kraft, Nerven und Zeit. Aber: am Ende gewinnen Sie.»
«Ich gewinne?»
«Japp!»
«Na, dann ist doch alles super.»

«Nicht ganz. Wir lassen diese Prozesse nämlich von einer eigens dafür gegründeten, völlig unabhängigen Firma führen, die in dem Moment, wo die Millionen gleichlautender Prozesse verloren werden, in die Insolvenz geht. Wodurch sich alles in Luft auflöst.»
«Ja und?»
«Na, es bleibt nichts, ausser dass Sie acht Jahre Ihres Lebens mit einem völlig sinnlosen juristischen Streit vergeudet haben.»
«Aber das ist ja furchtbar.»
«Eben. Finden wir auch. Und deshalb bieten wir Ihnen jetzt schon einen Vergleich an. Sie zahlen uns eine geringe monatliche Gebühr, und dafür verzichten wir auf die Klage.»
«Klingt fair.»
«Nicht wahr? Auch diese Reaktion von Ihnen haben unseres Algorithmens vorhergesehen. Weshalb wir das Geld auch bereits von Ihrem Konto abgebucht haben.»

«Dann muss ich mich um gar nichts mehr kümmern?»
«Nullkommanix. So, wie Sie’s mögen. Wir wissen ja, was Ihnen gefällt.»
«Ui, da kann man nicht meckern!»
«Sehen wir auch so. Empfehlen Sie nicht uns weiter, wir empfehlen Sie weiter.»
«In Ordnung. Kann ich Sie denn irgendwie erreichen, falls doch noch Fragen sind?»
«Klar. Reden Sie einfach laut vor sich hin, das kommt dann schon bei uns an.»
«Okay, danke.»
«Da nich für. Des Kunden Wohlgefallen ist dem Wir sein Glück.»
«Besser kann man es nicht sagen.»
«Präzioso.»

Horst Evers: Wer alles weiss, hat keine Ahnung. Rowohlt Berlin, 235 Seiten