Eva Bigler möchte ein Kunsthaus, das allen offen steht. Dafür sucht sie das Regionale mit überregionaler Strahlkraft.
Das Kunsthaus Zofingen liegt am Stadtrand, weit weg von der Kulturstadt Baden oder Aarau mit dem Aargauer Kunsthaus. In der umtriebigen Nachbarschaft wird es bisweilen übersehen. Dabei fanden immer wieder Ausstellungen Aufmerksamkeit jenseits der Stadt-, gar Kantonsgrenzen: etwa das grell-morbide Spektakel zum 80. Geburts- tag der Künstlerin Manon. Diese Schau hatte Claudia Waldner ausgerichtet. Als künstlerische Leiterin verabschiedet sie sich nun nach sechs Jahren. Als Künstlerin bleibt sie dem Haus erhalten, man sieht es an der roten Kugel vor dem Eingang.
An ihre Stelle tritt Eva Bigler, 40-jährig, theoriefest und neugierig. Während der letzten Monate hat sie sich eingelebt in Zofingen, heute steht sie zwischen den ersten beiden Ausstellungen, an denen sie essenziell mitgearbeitet hat. Unten im Schaufenster blicken Passanten auf die Stickereien der JKON-Künstlerin Delia R. Ferraro, unter den Kronleuchtern in der oberen Etage stehen auf eigens angefertigten Stelen Bilder für die kommende Ausstellung. «Das ist ein schönes Gefühl», sagt Eva Bigler, «gleichzeitig gibt es noch sehr viel zu tun.» Die Bernerin arbeitet gerne langfristig, plant ihr Tun mit Weitblick. In der ersten Saison nur auf Sicht arbeiten zu können, sei herausfordernd.
Fremd ist ihr die Region allerdings nicht. «So weit weg ist Bern gar nicht», lacht Bigler. Vor allem ist sie mit dem hiesigen Kunstgeschehen vertraut. Als Leiterin der Kunstsammlung Migros Aare war sie zuständig für Bern, Solothurn und den Aargau. «Der Kanton macht viel für seine Künstlerinnen und Künstler. Allein über die Jahresausstellungen wie ‹Truffes und Trouvailles› und natürlich die ‹Auswahl› im Aargauer Kunsthaus habe ich viel spannendes Kunstschaffen entdeckt.»
Die kommende Ausstellung «Stay With Me» ist in diesem Sinne beste Regionalkunstgeschichte. Wie ein Familienalbum zeigt sie die Arbeiten von vier Generationen der Künstlerfamilie Wyler-Fellner. Wo die Grosseltern noch fest verwurzelt waren, ist die Enkelin heute in New York und Berlin unterwegs. Im Aargau gibt es keine Kunsthochschule, Nachwuchs schwärmt aus nach Zürich – oder New York.
Was für ein Kunsthaus braucht denn Zofingen? «Eines für die Bevölkerung in der Region, aber nicht nur für die Nachbarschaft», sagt Eva Bigler. «Es braucht eine sorgfältige Mischung aus Regionalem und überregionaler Ausstrahlung.» Dafür hat Eva Bigler schon erste Ideen: «2025 möchte ich den 100. Geburtstag einer gebürtigen Zofingerin feiern: Eva Aeppli. In der Sammlung haben wir ein Werk von ihr, das ist ein Anfang.» Es ist an der Zeit, Aepplis schaurig-schöne Figuren aus dem Schatten der lauten Maschinen ihres Mannes Jean Tinguely zu holen.
Eva Biglers Kunsthaus soll ein offenes sein. Sie knüpft damit an die Geschichte des Hauses an, das keine Eintrittspreise verlangt und im Sommer durch das Schaufenster Kunst auf das Trottoir trägt. «Ich möchte Kunst so präsentieren, dass alle sie verstehen. Das beginnt bei einem durchlässigen Ausstellungsaufbau, wo jedes Werk genügend Raum erhält und endet bei Saaltexten, die jeder versteht.» Die Kunsthistorikerin spricht bedächtig, ebenso geht sie die Jahresplanung an.
Unter Biglers Feder gibt es kein Jahresthema mehr. Im Februar er- öffnet sie mit einer Schau zum Zofinger Grafiker Fulvio Castiglioni, dem Bigler drei aktuelle Positionen konkreter Kunst entgegenhält. Später im Jahr blickt man auf einen Auszug der Sammlung von Heiner Hoerni und in Einzelausstellungen auf Mireille Gros’ Umweltstudien und die fulminanten Comic-Gemälde von M.S. Bastians und Isabelle L. Mit Letzteren hält ein neues Genre Einzug, ein besonderes Faible hat die neue Leitung aber für Video-Kunst. Das Haus mit den vielen Fenstern ist dafür scheinbar nicht ideal, Bigler nimmt es aber pragmatisch: «Man kann alle Fensterläden schliessen!»
Dieser erste Ausstellungszyklus gibt einen sportlichen Takt vor für eine Direktorin, die nur zu 40 Prozent angestellt ist. «Ich bin die Einzige mit einem regulären Lohn. Das Kunsthaus Zofingen gründet auf unglaublich viel Engagement und Leidenschaft», sagt Bigler, «langfristige und nachhaltige Qualität hält sich aber nicht durch ehrenamtliche Gratisarbeit.»
Das will sie ändern, und beginnt bei den Kunstschaffenden, die sie künftig für ihren Auftritt gemäss Empfehlung der Vereinigung Schweizer Institutionen für zeitgenössische Kunst (VSIZK) entschädigen wird. Eva Bigler tritt ihren neuen Posten mit viel Engagement an, die Kunst gibt sie dennoch – oder eher deswegen – nicht umsonst her.
Stay With Me: 21.8.–24.10. Kunsthaus Zofingen