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Vom weiblichen Steve Jobs zur Jahrhundertbetrügerin: Die Serie «The Dropout» erzählt das Leben der Elizabeth Holmes

Elizabeth Holmes war der Liebling der Start-up-Szene. Bis klar wurde, dass die Vision ihres Unternehmens Theranos nur Betrug war. Disney+ hat ihr Leben in der Serie «The Dropout» verfilmt.

Julia Stephan
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Steve Jobs' Rollkragenpulli war ihre Uniform: Amanda Seyfried als Elizabeth Holmes in «The Dropout».

Steve Jobs' Rollkragenpulli war ihre Uniform: Amanda Seyfried als Elizabeth Holmes in «The Dropout».

Disney+ / Aargauer Zeitung

Serien über Hochstapler finden nicht nur begeisterte Zuschauer. Sie können ihre Protagonisten auch zu einer Zweitkarriere nach dem Knast verhelfen. So geschehen bei der Netflix-Produktion «Inventing Anna» mit Julia Garner in der Hauptrolle.

Die Serie löste einen Hype um die deutsch-russische Hochstaplerin Anna Sorokin aus, die sich in der New Yorker High Society unter falschem Namen 200 000 US-Dollar erschwindelt hatte. Auch der Netflix-Dokfilm «Tinder Swindler» war für den Israeli Shimon Jehuda Hayut, der Frauen reihenweise Herzen und viel Bares stahl, ein gutes Investment gewesen. Es soll bald eine Dating-Show mit ihm geben.

Wird der verurteilten Tech-Unternehmerin Elizabeth Holmes auch so ein eleganter Jobwechsel gelingen? Das Strafmass für die einstige Hoffnung des Silicon Valley steht noch aus. Im schlimmsten Fall drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft.

Die Stanford-Studienabbrecherin hatte 2003 mit nur 19 Jahren ihre eigene Firma gegründet. Holmes wollte die Blutdiagnostik revolutionieren. Ihr Versprechen: Mit einem mobilen Gerät sollten mit einem einzigen Blutstropfen Hunderte Bluttests möglich sein. Einziges Problem: Die Technik dahinter hat nie funktioniert.

Die Frau, die US-Präsidenten den Kopf verdrehte

Holmes, die ihrem Vorbild Steve Jobs inhaltlich und optisch nacheiferte, wollte in die Geschichte eingehen. Die Erzählung von der Frau, die eine bessere Welt schaffen wollte, war so mächtig, dass sie die Wahrheit über Jahre verdrängte. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs beschäftigte Holmes’ Firma Theranos 800 Mitarbeitende und hatte einen Marktwert von 9 Milliarden US-Dollar.

Bill Clinton, Barack Obama und Joe Biden schwärmten von dem role model weiblichen Unternehmertums. Unvergessen der Moment, als der damalige Vize Joe Biden sich durch das Labor der Firma führen liess, das man für seinen Besuch als Attrappe aufgebaut hatte.

Ein Dokfilm, ein Podcast, ein Enthüllungsbuch und eine ab heute auf Disney+ konsumierbare Serie mit Amanda Seyfried als Elizabeth Holmes widmen sich dem Leben der verurteilten Betrügerin. Apple TV hat für eine weitere Verfilmung bereits Jennifer Lawrence angeheuert.

Der mediale Hype überrascht, weil Holmes nicht ins klassische Robin-Hood-Schema passt, dank dem Betrügerinnen gewöhnlich so viele Herzen zufliegen. Zwar hat auch Holmes vielen reichen Männern von Rupert Murdoch bis Henry Kissinger 900 Millionen US-Dollar Investorengelder aus der Tasche gezogen.

Doch sie gilt in der öffentlichen Wahrnehmung auch als skrupellose Egoistin, die für ihre Vision das Leben ahnungsloser Patienten mit falschen Bluttests aufs Spiel gesetzt hat. In der Disney+-Serie «The Dropout» stechen sich die Mitarbeitenden ihrer Firma in einem Basler Hotel vor einem Treffen mit Novartis die Finger wund. Mann will die Maschine mit Eigenblut vor einem Meeting noch zum Laufen zu bringen – ein starkes Bild für Menschen, an deren Händen auch symbolisch viel Blut klebt.

Die von Elizabeth Meriwether produzierte Serie weiss um das identifikatorische Manko von Holmes. Sie blickt deshalb nicht nur aus der Perspektive der nach weiblichen Führungsfiguren gierenden Öffentlichkeit auf jene Frau, deren Gesicht auf den Titelseiten einflussreicher Wirtschaftsmagazine wie Forbes zur Marke wird und gar kein Anrecht mehr darauf hat, etwas anderes zu sein. An ihrer eigenen Geburtstagsparty tanzen Freunde mit Holmes-Masken um sie herum.

«The Dropout» ermöglicht dank der im Zentrum stehenden Liebesgeschichte zu ihrem Geschäftspartner Sunny Balwani intime Einblicke ins Innere dieser Frau. Eine Perspektive, die mehr dem Wunsch des Publikums nach psychologischen Erklärungen geschuldet ist als der echten Elizabeth Holmes.

Wenn Seyfried als Holmes zu Missy Elliots «We run this» von ich selbst berauscht durchs Büro tanzt, spüren wir die fiebrige Energie einer Frau, die zu viele Erfolgsratgeber gelesen hat. Für ihre teils improvisierten Tänze wird Seyfried im Internet bereits mit Memes gefeiert. Der Soundtrack der 2010er-Jahre ist in «The Dropout» omnipräsent, was der Serie ihren eigenen Charme verleiht.

Von der Einzelgängerin zum Marketingroboter

Amanda Seyfried gelingt in der ersten Staffel die Transformation von einer Einzelgängerin, die mit iPod-Hörstöpseln im Ohr und kranken Ehrgeiz abgekapselt von der Welt ihre eigene Vision erschafft hin zum kalten Marketingroboter mit messy bun, Steve-Jobs-Rollkragenpulli, roten Lippen und tiefer gelegter Stimme.

Holmes hatte sich diese tiefe Stimmlage angeeignet, um vor Investoren überzeugender zu wirken. In einer Szene sieht man sie als junge Frau im Spaghettiträger-Top auf einer Baustelle. Vor ihr: der männliche Vorstand, der ihre Worte im Baulärm sehr männlich überhört. Wenige Folgen später hüllt Holmes ihren Körper in einen Rollkragenpullover.

Damit stellt die Serie implizit die Frage, wie sehr Frauen in Machtpositionen sich männliches Dominanzstreben aneignen müssen. Holmes trifft in der Serie ständig auf irgendwelche Männer, die ihr die Welt erklären. Angefangen von ihrem Lover Balwani über altkluge, väterliche Gönner und knallharte Investoren, die ihr auf einer Jacht klar machen, dass sie dringend Mitarbeitende feuern müsse.

Das macht sie nicht zwangsläufig zum Opfer. Im Gegenteil: Holmes hat in der Lesart dieser gelungenen Serie das fragwürdige Verhalten ihrer männlichen Mitstreiter übertroffen. Die Jobangeboten nach ihrem Gefängnisaufenthalt dürften auf sich warten lassen.

«The Dropout». Ab 20.4. auf Disney+.

Trailer zur Serie «The Dropout».

Quelle: Youtube