Ein Bündner Schriftsteller schreibt in Island schrullig-coole Krimis

Joachim B. Schmidt lebt in Island. Sein vierter Roman «Kalmann» ist beim renommierten Verlag Diogenes erschienen. Darin wird ein Dorfdepp zum Sheriff.

Peter Exinger
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Joachim B Schmidt

Joachim B Schmidt

Foto: Eva Schram

Ganz unten anfangen. Das macht sich in einer Schriftstellerbiografie gut. Unser Mann heisst Joachim B. Schmidt. Er ist in Graubünden geboren, hat vor zehn Jahren den Literaturpreis von «Blick am Abend» gewonnen, hat seine Koffer gepackt und ist nach Island ausgewandert, um dort als Knecht zu arbeiten, Joghurt herzustellen und hinter einer Hotelrezeption zu stehen. Klingt abenteuerlich. Aber so war es.

Nun hat Schmidt seinen vierten Roman vorgelegt. Und das in einem renommierten Schweizer Verlag, bei Diogenes. Der Name des Romans lautet wie die Hauptfigur, Kalmann. Es handelt sich um den Ich-Erzähler. Die 350 Seiten spielen in Island und handeln von einem Vermisstenfall. Am Ende des Buches liegt die Hauptperson selbst ganz unten. Nämlich unter einem toten Eisbären.

Skurril, aber es wird alles gut. Kalmann ist Ehrenbürger seines Dorfes. Der Ort heisst Raufarhöfn. Und diesen gibt es wirklich. Die dortige Schule böte Platz für 150 Kinder, es gibt aber nur noch zehn Schüler. Die Tankstelle ist geschlossen, die Bibliothek hat einmal in der Woche für eine Stunde offen, und im Hotel steigen nur ab und zu ein paar verirrte Touristen ab – und sind schnell wieder weg. Jedes zweite Haus steht leer. Und am Horizont mag sich an klaren Tagen der Nordpol erahnen lassen.

Schmidt hat eine Geschichte geschrieben, die am Rande spielt. Weit entfernt von der Hauptstadt Reykjavik, weit entfernt von dem, was man Leben nennt, und doch ist dieser Roman voll Wärme, Zuversicht und Mut. Kalmann ist ein wenig zurückgeblieben. Er lebt als Jäger und Fischer in diesem Dorf am Meer, dass seine besten Zeiten – als die Jagd nach Heringen reiche Beute brachte – längst hinter sich gelassen hat. Kalmann wohnt allein in einem kleinen Häuschen, besucht regelmässig seinen dementen Grossvater in einem Heim, ein paar Autostunden entfernt.

Eigentlich wollte Schmidt einen Krimi schreiben

Seine Berufung ist das Fischen nach dem Grönlandhai, einer Delikatesse, die nie eine war. Man muss das Fleisch dieses Ungetüms – jedes Exemplar kann mehrere hundert Jahre alt werden – regelrecht vergammeln lassen, bis aller enthaltener Harnstoff fermentiert ist. Erst dann ist dieses Haifleisch «geniessbar». Obwohl es streng riecht, gilt es als isländische Delikatesse.

Den Leser nimmt der Schweizer Autor, der inzwischen Vater zweier Kinder und Isländer ist, auf eine Reise durch eine Geschichte mit, deren Tragik sich erst nach und nach erschliesst und deshalb für den Leser einen regelrechten Sog entwickelt. Kalmann findet eine Blutlache im Schnee und weiss als selbst ernannter Sheriff von Raufarhövn mehr als der Leser. Am Ende des Tages ist Kalmann ein Held. Ja, er findet sogar eine Freundin. Die hat er sich mehr als verdient, jener Mann, der als Naivling mit Kinderseele in diese Geschichte gestolpert ist.

«Eigentlich wollte ich einen Krimi schreiben», bekennt der Autor. Die Hauptrolle hätte eine Polizeikommissarin werden sollen, die jetzt im Buch eine tragende Nebenrolle spielt. Beim Schreiben, sagt Schmidt, «habe ich schnell gemerkt, dass Kalmann eine unglaublich spannende Persönlichkeit und alles andere als ein Dorftrottel ist. Einfach ein toller Mensch.»

Joachim B. Schmidt: Kalmann. Diogenes, 352 Seiten.

Nachgefragt: «Zum Glück gibt’s da auch Gratisbier»

Herr Schmidt, Ist Kalmann ein Teil von Ihnen?

Ja, das habe ich beim Schreiben gemerkt: Er ist ein Teil von mir, den ich tief versteckt habe: mein neunjähriges Ich – naiv, scheu, verknallt, verspielt, verschreckt. Und manchmal faul. Heute tu ich so, als wäre ich superfleissig, selbstbewusst und erwachsen, dabei bin ich noch immer ein etwas verklemmter Bauernbub aus Cazis.

Aber fremd fühlen Sie sich nicht?

Manchmal unter Menschen. Etwa beim Weihnachtsapéro des isländischen Schriftstellerverbandes. Dort lungere ich vorzugsweise beim Buffet herum. Zum Glück gibt’s da auch Gratisbier. Aber deswegen sind Sie nicht Isländer geworden. Mmh, doch auch. Ich will mich hier in Island integrieren, will dazugehören, will abstimmen und kritisieren dürfen. Der isländische Pass stärkt mein Selbstbewusstsein, etwa wenn es um meine Mitgliedschaft beim isländischen Schriftstellerverband geht. Ich bin Isländer. Und ich schreibe, also kein Grund zur Sorge. (pex)