Design
Möbel in bunten Kreisläufen

Ein Rundgang auf der grössten europäischen Möbel-Entwurf-Messe in Mailand zeigt: Grün, Recycling und Chillen sind voll im Trend.

Edith Arnold, Mailand
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Bis an die Ränder der Designmetropole lassen sich Interventionen entdecken. Mittendrin die Schweiz, die ihre Präsenz wirkungsvoll gestaltet. Erstmals treten Institutionen, junge und arrivierte Designer zusammen auf. Pinke Teppiche weisen zur gemieteten «Casa degli Artisti» im eleganten Brera. Am Eröffnungsabend reiht sich Rossana Orlandi, die Grande Dame der Szene, in die Schlange. Auch Bundesrat Alain Berset ist da. Nach seiner Ansprache übernimmt ein ghanaischer DJ: zu progressive House sollen die Exponate erlebt werden.

Ein Stilmix des Studios Zanotta mit 60erJahre-Sofa.
9 Bilder
Ein offener Rückzugsort namens «Dare to Feel» von Alicja Czop.
Pflanzen und ein Paravent.
Moroso holen den Wald ins Wohnzimmer.
Pro Helvetia präsentiert in Mailand neun Designstudios aus der Schweiz.
Autarke Kreisläufe mit Designanspruch im botanischen Garten.
Nikolai Kotlarczyk bringt verschiedene Stile auf kleinem Raum zusammen.
Partystimmung: Das Studio Sé.
Sci-Fi im Stile der 50erJahre vom TheShawStudio

Ein Stilmix des Studios Zanotta mit 60erJahre-Sofa.

Bild: Edith Arnold

Eine «intelligente» Kaffeeröstmaschine (Sébastien El Idrissi für Mikafi) steht einem archaischen Tischobjekt aus Sand, Salz und Naturbindemittel gegenüber (Studio Eidola). Daneben lässt sich ein Holzstuhl zu einer Bank ausziehen (Shizuka Saito) – fast bis zum «Tatzelwurm»-Ledersofaklassiker von De Sede. Die ETH Lausanne zeigt Objekte in Kooperation mit dem Yamaha-Musik-Designlabor. Und die ETH Zürich erklärt ihre Materialforschungen, das Thema der Zeit. Was wird die nächste Ära definieren: weisses und flexibles Holz, leichte Aerogele, Salz in gedruckten 3D-Strukturen?

Reflektieren und Regenerieren

«Re-Generation» ist in ganz Mailand angesagt. Wegen der Pandemie wurde die Designwoche 2020 abgesagt, die letztjährige im Miniformat durchgezogen. Nun kommen Krieg, Lieferengpässe, andauernde Trockenheit hinzu. In der Nationalbibliothek Brera halten Prada und Formafantasma ein Symposium zur komplexen Beziehung zwischen natürlicher Umwelt und Design. Inmitten des Bücherwaldes und unter Riesenkronleuchtern spricht etwa Stefano Boeri, Architekt des visionären und aber auch pflegeintensiven Bosco Verticale.

Dagegen funktioniert eine Designinstallation im nahen Botanischen Garten autark und verbreitet sinnvolle Magie: durch die Pflanzen schlängeln sich 500 Meter gebogene Kupferrohre mit Wasserdüsen. Sie versprühen Parfum aus reinstem Wasser. Dazu sind Duftmoleküle der umgebenden Blumen und Kräutern in der Luft.

Carlo Ratti, Initiant und Direktor des MIT Senseable City Lab, informiert: «So wie Bäume in einem Wald Energie aus verschiedenen Quellen bezieht und diese abgibt, wo sie gebraucht wird, etwa bei einem Blatt oder einem Zweig, nimmt das Kupferrohr in der gesamten Länge Energie auf und nutzt sie an bestimmten Punkten des Pfades.» Überschüssige Solarenergie wird abends zu dezenten Lichtspots geleitet.

Grün, grüner, am nachhaltigsten?

Grün schreibt sich Ikea in der Zone Tortona auf die Fahne. Allerdings riechen die Outdoorlounges mit gelben Plastikbahnen richtig nach Plastik. Recycling? Besser wäre einfach weniger herzustellen. Sorgfalt demonstriert Moroso, das einflussreiche italienische Label. Im Showroom und in einem Kino wird das Resultat einer mehrjährigen Studie mit dem Front-Studio inszeniert: Polsterobjekte, die wie moosbewachsene Riesensteine aussehen.

So sah der Beitrag von Moroso aus.

So sah der Beitrag von Moroso aus.

Bild: Edith Arnold (Mailand, 16. Juni 2022)

Hierfür streifte man durch schwedische Wälder, machte 3D-Scans und übertrug das Mögliche zu organischen Möbeln. Natur dominiert auch im Messegelände Rho: Tische aus Marmor, Granit, Steinquarz in Grüntönen. Dazu Grünpflanzen und Feldblumen, die aussehen, als ob sie gerade gepflückt worden wären.

Dann findet man sich in den New Yorker 70ern wieder

Der Salone Satellite ist als Piazza gestaltet. Hier treffen 600 Jungdesigner aus 48 Ländern aufeinander. Die Stile reichen von den 50er Jahren bis in die Zukunft: Das Shaw Studio aus Wuhan in London zeigt Science-Fiction-Möbel aus glänzendem Stahl, die ganz irdisch genutzt werden können. Alicja Czop aus Polen in Amsterdam präsentiert ein «Space» aus smaragdgrünem Samt, in den man sich zurückziehen und mit einer anderen Person verbinden kann.

Das ist der samtene Rückzugsort von Alicja Czop.

Das ist der samtene Rückzugsort von Alicja Czop.

Bild: zVg

Heiter sind die Objekte des Shibaura Institute of Technology in Tokyo: Die «Knot knot knot»-Liege besteht aus einer geflochtenen giftgrünen Textilschlange, mit deren Ende man sich zudecken kann. Der «Born»-Hocker ist eine Tasche mit herausragenden Schnüren, auf die man sitzen kann (Inspiration war japanischer Schälkäse). Schlicht und flexibel ist «Grouper», einerseits Sitz- andererseits Anlehnstuhl.

Auch Zanotta macht «Reconnecting» bezüglich Gesellschaft und Stilepochen zum Programm: Marmortisch, ikonische Fauteuils mit gewellter Oberfläche aus den sechziger Jahren, gelbe Schaltafeln vor glitzerndem Megacity-Wallpaper. Das Label Sé lässt in der Galleria Rossana Orlandi die VIP-Party-Atmosphäre im New York der siebziger Jahre hochleben und gibt ihr einen futuristischen Touch: Loungemöbel mit Muschelrückenlehnen, verlassene Cocktailgläser auf Salontischen, neuartige Disco-Kugeln an der Decke, Menschen sind über Videoprojektion im Raum. Die Metawelt lässt grüssen.

Ganz reale Stimmung dagegen im «Casa degli Artisti»: Dort soll Alain Berset noch mit Zigarre getanzt und für sich Piano gespielt haben. Cool, denn wozu all die schön gestalteten Orte, wenn man sich darin nicht bewegen und aufhalten mag?

Das Label Sé macht Partylaune.

Das Label Sé macht Partylaune.

Bild: Edith Arnold (Mailand, 16. Juni 2022)