Das Aargauer Kunsthaus lässt Floristen Kunst interpretieren. Dabei herausgekommen ist eine farbenfrohe Ausstellung mit der Halbwertszeit von sechs Tagen, ehe die Blumen verwelken.
Es herrscht Stau vor dem Hintereingang des Aargauer Kunsthauses, Lieferwagen reiht sich an Lieferwagen. Diese transportieren ungewohntes Gut: bunte Rosen, weisse Orchideen, rote Nelken und allerlei anderes Grünzeug, das in den kommenden Tagen im Kunsthaus zu sehen sein wird. «Blumen für die Kunst» heisst die Ausstellung zum Frühlingserwachen, die dieses Jahr zum zweiten Mal in Aarau stattfindet.
Sechzehn Meisterfloristen aus der ganzen Schweiz deuten mit ihren Pflanzen und Blumen Werke aus der Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Vor einem Jahr lockte die farbenfrohe Schau zahlreiche Besucher nach Aarau, die inmitten der kreativen Blumengestecke den Frühling feiern wollten. Deshalb soll das Projekt trotz des grossen Aufwands auch dieses Jahr wieder die Gemüter erfreuen.
Am Türsteher vorbei
An der Schnittstelle zwischen Floristik und Kunst bringt die Ausstellung zwei Dinge zusammen, die sonst selten miteinander zu tun haben – die beständigen Werke der Kunstsammlung und die lebenden, vergänglichen Blumen. Dieser Widerspruch erklärt auch den Lieferstau vor dem Gebäude: Die Floristen müssen ihr Material zuerst an den kritischen Augen eines Restaurators vorbeibringen, damit keine für die Werke schädlichen Substanzen oder gar Insekten ins Kunsthaus gelangen.
Vor sechs Wochen wählten die Floristen ihr Kunstwerk aus, um sich auf das heute beginnende Frühlingserwachen vorzubereiten. Der freischaffende Floristmeister Andreas Geissmann entschied sich für ein dramatisches Gemälde von Johann Heinrich Füssli aus dem Jahr 1785, das ein heimliches Liebespaar zeigt. Der zornige Ehemann nähert sich den beiden aus dem Schatten – das Messer bereits bedrohlich erhoben. Kreativ erfasst der junge Bündner die abgebildete Leidenschaft wie auch den Zorn: Sein dichter, weicher Strauss aus pastell- und fleischfarbenen Rosen kontrastiert mit den dunklen, dornigen Stängeln. «Floristik ist normalerweise rein dekorativ, hier wird sie aber zur Interpretation. Mir gefällt es, mich nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich mit etwas auseinanderzusetzen», erklärt Geissmann. Neugierig nimmt die Besucherin eine Nase voll von den duftenden Blumen – Kunst wird hier fassbar, riechbar.
Auffallend ist das farbliche Zusammenspiel zwischen den Kunstwerken und den Pflanzen. So nehmen Marc Müller und Nicole Matter die bunte Welt der 70er-Jahre auf, die Franz Gertsch in «Kranenburg» festgehalten hat. Die beiden kleben gefriergetrocknete Rosenblätter auf zwei grosse Plexiglasscheiben, um diese neben das Werk zu hängen. Sogar das Blumenmuster auf Müllers Pullover harmoniert mit den violetten, pink- und lilafarbenen Rosenblättern.
Auch Heidi Huber spiegelt mit ihrer Anordnung aus Blumenvasen die pastellfarbene «Winterlandschaft» von Cuno Amiet wider. Bewusst kombinierte die Floristin Winter- und Frühlingsblumen, um den Wandel der Jahreszeiten darzustellen.
Mehr als nur Blumensträusse
Wir sind überrascht von der Vielseitigkeit der Floristenarbeiten. Wer glaubt, hier nur auf Blumensträusse zu treffen, hat sich getäuscht: Die kreativen Gestalter schrecken vor keiner technischen Herausforderung zurück.
Priska Isenschmid steht mit ihrer Kollegin auf einer hohen Leiter, um eine lange Kette aus grünen Liliengras-Kugeln und weissen Orchideen an der Decke zu befestigen. Und Regula Guhl nutzt auf Glas gepresste Blüten, um eine abstrakte Collage von Hans Arp nachzubilden. In einem anderen Raum sind Schachteln voller Nelkenblätter in allen möglichen Rottönen auf dem Boden ausgebreitet. Welches Gemälde Monika Reitinger damit interpretieren will, ist nicht schwer zu erraten: Ein monochromes rotes Gemälde von Jean Pfaff. Wie genau sie das macht, wird nicht verraten.
Anstatt Blumen lässt die Badener Blumenkünstlerin Doris Haller diesmal Blätter sprechen: Sie interpretiert das romantische Gemälde «Am Sempachersee» von Robert Zünd und stellt einen grossen Baum aus dickem Metalldraht in die Mitte des Raumes. Daran hängt sie ein dichtes Gewebe aus Blättern und feinem Draht, welches dem schützenden Blätterdach in Zünds Bild optisch erstaunlich nahe kommt.
Vergängliche Frühlingsboten
Dieses Jahr erstreckt sich die Ausstellung sogar bis in den Aussenraum: Schon von weitem ist die grosse Säule aus Waldgehölz der Landschaftskünstler Peter und Marie Boson Hess zu sehen. Die beiden haben das Material in den Baselbieter Wäldern gesammelt. «Ich gehöre nach draussen, ich könnte nicht mehr drinnen arbeiten», sagt Hess, der mit seinem langen Bart, dem Stoffhemd und dem dicken Holzstock wie ein richtiger Naturfreund aussieht. So gehört auch seine Kunst nach draussen und erinnert schon am Eingang an das frühlingshafte Erwachen im Innern des Gebäudes.
Aber Achtung: Die vergänglichen Frühlingsboten sind nur sechs Tage zu bewundern. Anders als die beständigen Werke der Kunstsammlung verändern sich die floralen Interpretationen mit jedem Tag, bis sie am Ende verwelken.
Blumen für die Kunst Aargauer Kunsthaus, Aarau, 17. bis 22. März.