Herrmann Burger
Menziken ist ein Dichterdorf – und Hermann Burgers Wiederauferstehen eine Zauberei

«Ein Leben aus Wörtern» heisst der Audio-Walk, der Hör-Gang durch durch Menziken, in dem Herrmann Burger wurde, was er war. Das Theater am Bahnhof (TaB) übertrifft sich mit dieser Eigenproduktion selbst.

Daniel Muscionico
Drucken
Die Papeteristinnen-Schwestern Menzi werden im Audiowalk lebendig; Herrmann Burger hat sie verewigt als Trägerinnen von «Ohrenschnecken».

Die Papeteristinnen-Schwestern Menzi werden im Audiowalk lebendig; Herrmann Burger hat sie verewigt als Trägerinnen von «Ohrenschnecken».

Thomas Moor

Da steht sie also, die bekannteste Papeterie der Schweiz, aus Sicht der Literaturwelt jedenfalls. Ein seltsam leeres Ladengeschäft kurz hinterm Bahnhof von Menziken ist’s. Hier geistern zwei ältliche Damen in geblümter Schönheit durch die Räume und räumen sinnlos Utensilien hin und her. Kunden scheinen die Beiden keine zu haben.

In der Theater-Kulisse einer angestaubten Papeterie sind die «Geschwister Merz» auferstanden, die Trägerinnen der bekanntesten «Ohrenschnecken» der Schweiz, aus Sicht der Literaturwelt immerhin. Sie hüteten hier, zum Anlass von Hermann Burgers 80. Geburtstag – hätte er ihn denn erlebt – «Verjährte Bestseller, die ihren Nachmittag verschlafen».

Man wird das Zitat in einem der Bücher des Schriftstellers finden. Dass seine Werke bei den – echten – «Ohrenschnecken»-Trägerinnen nicht verkauft wurden, weil sich die Schwestern darin unvorteilhaft beschrieben fanden, erfährt man als Papeterie-Besucher aus dem Kopfhörer. Und lernt zudem: In dieser Kulisse, in der Papeterie, später im Schulhaus bei Mathilde Rey im Deutschunterricht, hat Burger das Handwerk der Sprache gelernt.

Ein Burger-Bilder-Buch mit prominenten Stimmen

Wie der Dichter zu Sprache kam, und vor allem wo, das erzählt das Ensemble des Theater am Bahnhof (TaB) auf einem Audiowalk. «Ein Leben aus Wörtern» in der Regie von Gundula Hamer ist dabei so poetisch, intim und amüsant, dass man sich fragt, wieso so ein Gang auf den Spuren des Dichters nicht schon lange ersonnen sei.

Zum Anlass des Jubiläums aber ist es so weit. Das Publikum erspürt auf einem Rundgang durch Burgers Heimat einen Ort, an dessen Ortstafel stehen müsste: «Dichterdorf». Denn nicht nur Burger, sondern auch Klaus Merz (ein Beteiligter des Anlasses) und auch Martin Dean sind hier gross geworden.

Das kleine Burger-Ereignis, ist gross, denn es liessen sich dafür viele ehrenamtliche Helferinnen plus politischer Sukkurs finden. Und auch die Stimmen und Zeitzeugen im Ohr haben Profil: Klaus Merz erzählt über das Dorf und seine Veränderungen und über den älteren Mitschüler, Burger, mit dem er das Schulhaus teilte; der ehemalige Lehrer Karl Gautschi kommt zu Wort, genauso auch Burgers jüngere Schwester, Katharina. Die Germanistin bekennt, dass sie über die Rezeption ihres Bruders als Paradiesvogel, Jaguarfahrers und Lebemanns nicht glücklich sei. Das Eigentliche, die Sprachkraft, werde dadurch vernebelt.

Der Untergang der Rauchkultur im Stumpenland

Und wie recht sie hat! Dieser Burger-Spiegel lebt von der Kraft der Sprache, einmalig, unverkennbar und magisch. Dass einige der semifiktionalen Figuren aus seinem Universum, die man unterwegs antrifft, stumm bleiben, macht die Kraft nur umso kräftiger.

In der kommenden Stunde Wanderschaft durch Burgers «Heimathafen» stossen zu uns: Kinder im Deutschunterricht in Burgers Schulhaus, das heute noch wie damals in seiner Hässlichkeit prangt. Klaus Merz nennt seine Fassade einen «Geröllhaldenverputz»; gleich dahinter steht das Geburtshaus des grossen Sohnes, ein riesiger Park mit beeindruckenden Bäumen soll man sich dazu vorstellen, heute stehen dort dicht an dicht Reihenhäuser.

Später trifft man auf einen Burger-Lookalike, einen Zigarren paffenden Jaguarfahrer; und auch zwei Verehrer des blauen Dunstes stehen Spalier. Das schöne Gespann sinniert vor der Cigarrenfabrik Eichenberger wortsinnig über den «Untergang der Rauchkultur».

König Hermanns Tafelrunde

Zum runden Ende, die Wynentalbahn transportiert zuverlässig zurück ins Theater, wartet auf die Besucher ein opulentes Essen. Denn Burger selbst hat es vorgelebt: Die magische Verwandlung der Welt durch Sprache ist nur eine andere Form des sinnlichen Genusses. Prost also und wohl bekomm’s!

Ein Leben aus Wörtern: Start und Ende im TaB (Theater am Bahnhof), bis 24. September.