Kunst und Forschung
Wie kamen die Bilder ins Museum? Geschichten aus dem Kunst-Untergrund

Das Kunstmuseum Bern zeigt, wie es seine «entartete» Kunst» erforscht. Das ist kompliziert, aber vorbildlich – und nicht erst seit der Gurlitt-Diskussion nötig

Sabine Altorfer
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Paul Camenisch «Frühlingserwachen» 1926. Der Berner Sammler CharlesWoerler kaufte das Selbstbildnis 1926 beim Künstler und schenkte es 1964 dem Museum. Herkunftsmässig ein klarer und harmloser Fall.

Paul Camenisch «Frühlingserwachen» 1926. Der Berner Sammler CharlesWoerler kaufte das Selbstbildnis 1926 beim Künstler und schenkte es 1964 dem Museum. Herkunftsmässig ein klarer und harmloser Fall.

Kunstmuseum Bern, Schweiz / Muse

So ein Chrüsimüsi! Wie kann man Bilder nur so willkürlich hängen? Nach dem monumentalen «Alpsonntag» von Ernst Ludwig Kirchner hängt ein harmloses Selbstbildnis von Hans Ernst Brühlmann, daneben Paul Klees getüpfeltes Schlüsselwerk «Ad Parnassum» gefolgt von Max Liebermanns «Schlächterladen»-Stillleben mit Schweinehälften. Eine solche Hängung ist kunsthistorischer wie stilistischer Unsinn.

Aber für diese Ausstellung macht diese ungewohnte Hängung Sinn. Denn das Kunstmuseum Bern zeigt, wann diese Werke in seine Sammlung kamen. Deshalb hat es seine Rosinen eben chronologisch gehängt – nach dem Erwerbsjahr. Von 1933 bis 2009. Im Katalog, in den Bildlegenden, in vertiefenden Dokumenten und Kabinetten erklärt es zudem, wie sie ins Haus kamen. Das ist hochinteressant, kompliziert – und zugleich hochaktuell.

Kunstmuseen besitzen Tausende Werke. Käufe, Geschenke oder Leihgabe sind fein säuberlich in Inventarbüchern eingetragen. Bei Kirchners «Alpsonntag» steht: Ankauf 1933 mit Spenden – von B. Wander, Hr. Loeb und Frau Binzi – für 4250 Franken in der Kunsthalle Bern.

Woher aber hatten die Händler, bei denen das Museum kaufte, ihre Werke? Wie und wo erwarben sie die Schenker? Und vor allem, wem gehörten sie zwischen 1933 und 1945, haben sie gar eine Nazi-Raubkunst-Vergangenheit? Das steht nicht in den Büchern. Solche Fragen müssen alle Museen (und auch die privaten Kunstbesitzer) stellen.

Das Umdenken

Antworten zu finden, ist nicht einfach. Denn vor einigen Jahrzehnten dachte man noch völlig anders. Die Herkunft interessierte nicht – «man verliess sich auf die renommierten Händler», sagt Direktor Matthias Frehner. «Einen angesehenen Händler nach seinen Quellen zu fragen, wäre ein ungebührliches Misstrauensvotum gewesen, wie die Protokolle der Ankaufskommissionen zeigen.» Und wenn dem Museum hochkarätige Bilder geschenkt wurden, so wollte man die Geber auch nicht vor den Kopf stossen. Das war nicht nur in Bern so. «Die Diskussion um Provenienzforschung, um Sammlungsgeschichte ist relativ neu», sagt Frehner. «Sie wurde nach 1996 aktuell. Man warf der Schweiz nicht nur vor, ein Hort für nachrichtenlose Vermögen, sondern auch für Raubkunst zu sein.»

Vorwärts ging es weltweit mit Provenienzforschung bei Werken, die von Nazis geraubte Kunst sein könnten, nach dem Washingtoner Abkommen von 1998. Und die Sammlung Gurlitt hat die Diskussion weltweit weiter angefacht. Besonders natürlich in Bern, das als möglicher Gurlitt-Erbe zeigen will, dass es Herkunftsforschung seriös betreibt und beherrscht.

Für sein erstes Vorzeige-Projekt hat es nun die Künstler herausgefiltert, die von den Nazis 1937 als «entartet» diffamiert wurden. Ihre Werke wurden aus den deutschen Museen entfernt und teilweise im Ausland – auch in der Schweiz – gegen Devisen verkauft. Sieben solche Werke besitzt Bern: eines wurde ersteigert, die anderen geschenkt.

525 Werke unter der Lupe

Insgesamt 525 Werke von als «entartet» bezeichneten Künstlern sind im Kunstmuseum Bern. Bei 188 ist die Provenienz zwischen 1933 und 1945 restlos geklärt, bei 147 teilweise und bei 190 Kunstwerken gibt es keine gesicherten Hinweise für die heiklen Jahre. Da wartet also weitere Arbeit.

Die Berner Ausstellung und der Katalog sind ein Lehrstück und für das Publikum ein lohnendes Lernstück. Man sieht Zeitdokumente, was «entartet» hiess, was künstlerisch zeitgleich in der Schweiz bei der geistigen Landesverteidigung passierte, wie Künstler reagierten und welche Skrupel Sammler umtrieben.

Interessant ist das Projekt auch für Fachleute. Was man weiss, hat man neben den Bildern und vor allem – für alle 525 Werke – im Katalog aufgelistet. Interessant ist, dass gerade bei Schenkungen und Leihgaben (etwa aus den Sammlungen Rupf und Huber) wichtige Ankäufe in den heiklen Jahren erfolgten. Keine Angaben dagegen finden wir bei Werken aus der Sammlung Loeb. «Dazu gibt es 2017 ein weiteres Projekt», beruhigt Kurator Daniel Spanke.

Die Chronologie der Werke auf der roten Wand endet 2009. Wieder mit einem Kirchner. Das wunderbare Gemälde «Rückkehr der Tiere» ist eine Leihgabe von Eberhard W. Kornfeld. Woher es der berühmte Auktionator hat? Diese Informationen fehlen – noch.

Moderne Meister. «Entartete» Kunst im Kunstmuseum Bern Bis 21. August.