Saison Courbet
Trotz seinem einsamen Schweizer Exil erschaffte Courbet Erstaunliches

Gustave Courbet verbrachte seine letzten Lebensjahre im Schweizer Exil am Genfersee, wo er trotz Isolation erstaunliche Werke realisierte. Das Revolutionäre seiner Person hat er auch auf die Leinwand gebracht.

Simon Baur
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Gustave Courbet: «Le Château de Chillon», 1876, Öl auf Leinwand, Privatsammlung.

Gustave Courbet: «Le Château de Chillon», 1876, Öl auf Leinwand, Privatsammlung.

zvg

Am 16. Mai 1871 wird während der Pariser Commune die Vendôme-Säule zerstört. Gustave Courbet, der sich als Mitglied der Commune für ihre Versetzung vor das Hôtel des Invalides einsetzte, wurde dafür verantwortlich gemacht. Nach dem Ende der Commune beschloss Patrice de Mac-Mahon, der Präsident der neu geschaffenen Republik, 1873 die Vendôme-Säule wieder aufbauen zu lassen und Courbet solle zur Finanzierung verpflichtet werden. Die Summe von über 300'000 Francs sollte er in jährlichen Raten von 10'000 Francs abbezahlen. Die erste Tranche hatte er zusammen, als er am 31. Dezember 1877 in La Tour-de-Peilz am Genfer See im Alter von 58 Jahren starb.

Nachbar von Schloss Chillon

Am 23. Juli 1873 überschritt Gustave Courbet in Begleitung einiger Freunde heimlich die Schweizer Grenze in Les Verrières und damit am selben Ort, wo bereits zwei Jahre zuvor die geschlagene Bourbaki-Armee die Grenze zur Schweiz überquert hatte und von Schweizer Soldaten interniert worden war. Ein Ereignis, das auf dem Bourbaki-Panorama in Luzern festgehalten ist, an dem sich auch Ferdinand Hodler als Maler beteiligt hat.

Lange unbemerkt blieb sein Grenzübertritt nicht. Bereits am 29. August erschien in «Franc-Tireur» in Neuchâtel ein ironischer Artikel unter dem Titel «As-tu vu Courbet?» Die Gazette de Lausanne brachte am 28. Oktober einen mit seinem Namen unterzeichneten Brief zu seiner Rolle während der Pariser Commune. Seine Anwesenheit in La Tour-de-Peilz wird offiziell Ende Januar 1874 bezeugt: «Jean Désiré Gustave Courbet dépose ses papiers le 26 janvier auprès de l’autorité communale. Il loge à la modeste pension Bellevue, dans une institution pour jeunes gens située à l’est de la ville, sur la route principale en direction de Montreux, tenue par un ancien pasteur, Florian Dulon.»

Mitte Juli badete er nackt mit einem Freund vor dem Schloss des Dorfes, was zu einer Ermahnung durch die Behörden führte. Überhaupt soll Courbet eine ziemliche Wasserratte gewesen sein, wie zahlreiche Briefe und Dokumente belegen. In La Tour-de-Peilz, direkt am Ufer des Genfersees und in Sichtweite zum Schloss Chillon zu wohnen, muss für ihn ideal gewesen sein.

Repression und Refugium

Am 15. August eröffnete Courbet in La Tour-de-Peilz eine grosse Ausstellung mit über hundert Gemälden bekannter Künstler, gleichzeitig fand die Einweihung seiner Büste «La Liberté» statt, die er der Gemeinde des Ortes in Anerkennung ihrer Gastfreundschaft überreichte.

Die Dokumente, es wurde hier erst auf wenige Bezug genommen, unterstreichen, dass Courbet auch in seinem Schweizer Exil nach wie vor politisch tätig war und sein rebellisches Naturell nicht bändigen konnte. So haben sich zahlreiche Rapporte erhalten, die bezeugen, dass Courbet regelmässig von der Schweizer Polizei überwacht wurde, selbst die Vorbereitung eines Komplotts auf Schloss Chillon wurde ihm unterstellt. Dieses soll er mit Henri Rochefort, französischer Schriftsteller und Politiker und anderen Personen, die sich wie er an der Pariser Commune beteiligt hatten, vorbereitet haben. Eine Lausanner Zeitung dementierte aber, indem sie nachwies, es habe sich um eine vergnügte Ausfahrt zu Ehren Rocheforts gehandelt. Vermutlich waren diese erfreulichen Momente in seinem Schweizer Exil eher selten, denn als er starb, war er ein gebrochener Mann, dick geworden und dem Alkohol verfallen. Zudem nagte das Heimweh.

In der Natur gemalt?

Die aufgeführten Dokumente sind eine kleine Auswahl aus vielen, die im Katalog zu der Ausstellung «Gustave Courbet. Les années suisses» im Musée Rath in Genf eingesehen werden können. die Genfer Ausstellung findet parallel zu «Saison Courbet» in der Fondation Beyeler statt.

Die Polizeiakten bezeugen zudem, dass Courbet in der Schweiz zahlreiche Gemälde anfertigte. Die Motive dazu fand er sozusagen, als er im See badete: das Schloss Chillon, den Genfersee und die Berge. Wer sich den Bildern widmet, ist erstaunt, wie modern die Darstellung seiner Themen ist - wie auch die Art seiner Malerei. Gerade bei den zahlreichen Darstellungen von Schloss Chillon mit den Besonderheiten des Lichteinfalls fragt man sich, wie sie entstanden sind. Hat er sie in seinem Atelier oder tatsächlich vor dem Motiv gemalt?

Eine Darstellung zeigt das Schloss im Winterlicht, die Schatten sind scharf, das Licht auf den Wänden beinahe schmerzhaft kalt. Man fühlt sich an die wohl erste Fotografie von Joseph Nicéphore Niépce von 1826 erinnert. Überhaupt lässt sich vermuten, er habe einige seiner Motive fotografiert und anschliessend in Bilder umgesetzt. Weniger jedoch bei seinen Genferseelandschaften, solche Abendstimmungen lassen sich kaum fotografieren, denn man spürt förmlich, wie Courbet immer wieder neue Farbe aufgetragen und wieder entfernt hat.

Immer noch Avantgardist

Diese Bilder sind, wie seine früheren Darstellungen von Meerlandschaften und Wellen, «konstruiert». Mit dem Spachtel hat er Farbe aufgetragen und wieder entfernt. Bisweilen glaubt man zu sehen, wie er alte Farbschichten wieder hervorgeholt hat, um das Nebeneinander unterschiedlicher Farben zu verstärken. Mit seiner spezifischen Art des Malens hat er nicht viele Zeitgenossen beeinflusst, sicher jedoch Edouard Manet. Bei beiden ist die Malerei nicht nur Darstellungsmittel, sondern auch Gegenstand der Malerei.

Obwohl Courbet durch sein Schweizer Exil nicht mehr zu den Avantgardisten gerechnet wurde, Manet und auch Claude Monet hatten diese Rolle übernommen, war seine Malerei nach wie vor revolutionär. Man hat die Bilder seiner letzten Lebensjahre bis jüngst unterschätzt. Dass er seine Motive seiner neuen Lebenssituation anpasste und für seine Seestücke zu ähnlichen Lösungen wie für seine Meerbilder kam, lässt sich nicht als Nachteil feststellen. Im Gegenteil. Courbets «Schweizer»-Bilder waren so revolutionär und avantgardistisch, dass er in seinem Gastland zahlreiche Käufer und Maler, auch Ferdinand Hodler, fand, die sich von seinen Werken inspirieren liessen.