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Der Basler Zeichner Jan Bachmann huldigt dem Schriftsteller und Aktivisten Erich Mühsam – grandios!
Die erste Seite sagt schon alles. «Mühsam» steht da in simpler Schnörkelschrift, darunter ein gezeichneter Hut. Unter dem Hut «Anarchist in Anführungsstrichen» und wiederum darunter eine Brille mit zwei Augen. Dann der Name des Autors: Jan Bachmann. Gefolgt von Mühsams überzeichnet langer Nase und dem Namen des Verlags.
Es ist das erste Bild, das wir in diesem Comic sehen, und es verspricht uns einen Menschen aus mühelos verkeilten Schichten. Text, Zeichnung, Text, Zeichnung, Text, Zeichnung, Text.
Und nicht nur irgendeinen Menschen, nein, sondern niemand Geringeres als den österreichischen Anarchisten Erich Mühsam. Erich wer? sagt man da jetzt vielleicht, aber das macht nichts, diese wunderbare Schichtung Mensch lässt sich auch lesen, wenn kein Hintergrundwissen vorhanden ist.
Für die, die es trotzdem wissen wollen, steht im Klappentext eine Zusammenfassung: Mühsam war ein deutscher Dichter und politischer Publizist, lebte in Italien, im Tessin und in München, wo er Teil der freigeistigen Künstlerszene war. Er arbeitete im Münchner Kabarett und bei verschiedenen satirischen Zeitungen, bis er 1918/19 mit Genossen die Münchner Räterepublik ausrief. Worauf er fünf Jahre in Festungshaft kam.
Beirren liess er sich dadurch nicht: 1932 erschien von ihm «Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat», ein im Eigenverlag publiziertes Sonderheft über anarchistische Verwaltungsgrundsätze. Ein Jahr später wurde er von der SA verhaftet, in Gefängnissen und Lagern gefoltert und schliesslich im KZ Oranienburg von der SS-Wachmannschaft ermordet.
Ein lautes Leben, aus dem sich Bachmann ausgerechnet die vergleichsweise ereignislosen Wanderjahre ausgesucht hat. Anhand von Tagebucheinträgen erzählt er die Zeit, in der Mühsam von Vater und Brüdern zum Kuren geschickt wird und eher widerwillig zusagt – mehr aus Geldnot als aus Befinden.
Wir begeben uns also mit dem kauzigen Poeten ins Sanatorium nach Château d’Oex in der Schweiz, wo Mühsam sich seinem Stuhlgang stellt («hatte heute den brillantesten Stuhlgang»), die gottesfürchtigen Bünzlis vor den Kopf stösst («Ni Dieu Ni Maître») und sehnsüchtig den Tod seines Vaters herbeiwünscht, um endlich genug Kohle zum Abhauen zu haben.
Das grosse Abenteuer lässt auf sich warten, auch als Mühsam schliesslich zu seinem Freund Johannes nach Aeschi bei Spiez fährt und später wieder nach München. Mühsams turbulente Jahre als politischer Aktivist kommen nicht mehr vor, Bachmann setzt das Comic-Ende auf eine Nacht in München um 1910, in der Mühsam mit dem deutschen Schriftsteller Ferdinand Hardekopf versumpft.
Man könnte das schade finden, soll man aber nicht, denn Bachmann verfolgt ein anderes Ziel. Hier geht es nicht darum, eine Wahnsinnsgeschichte zu illustrieren, sondern ein Zusammenspiel von Zeichnung und Text zu finden, das Erich Mühsam näher kommt als seine eigenen Tagebucheinträge.
Und das meistert Bachmann grandios: Irre Striche, immer leicht ab vom Kurs, treffen auf irren Mann, immer leicht ab vom Kurs. Das ist kein Illustrieren, sondern ein sorgfältiges Schaffen einer Figur, in ihrer Krudheit so liebevoll aufgefangen, dass man das Gefühl hat, direkt in Mühsams Seele zu blicken. Jan Bachmann erfasst den deutschen Dichter in einer Gesamtheit, wie es nur im Comic möglich ist. Mühelos verkeilte Schichten. Und am Ende: Monsieur Mühsam. Himself.