Startseite
Kultur
Buch Bühne Kunst
In Zürich singen sie ein Loblied auf den Bündner Alois Carigiet (1902–1985), den Vater des Schellen-Ursli.
Zu Alois Carigiet fährt man ausnahmsweise nicht bergwärts. Sondern nach Zürich, ins Landesmuseum. An der kindlich anmutenden Prozession der Palmesel und goldigen Frömmigkeiten vorbei gelangt man zum Vater des Schellen-Ursli. Der eben mehr war als das, wie es schon der Titel der Ausstellung sagt. «Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli.»
Daran werden auch die Bündner ihre Freude haben: Das Schweizer Landesmuseum hat erstmals in seiner Geschichte alle Texte auch auf Rätoromanisch übersetzt. Weil man den Titel eben auch verlängern könnte zu «Carigiet. Der Rätoromane». Sein Schellen-Ursli – sein Uorsin – ist nämlich auch ein Zeugnis des Kampfes für die Anerkennung des Rätoromanischen als vierte Landesprache. Die erfolgte 1939, im Jahr als Carigiet und Selina Chönz mit ihrer die Bündner Täler übergreifenden Arbeit am Kinderbuch begannen. Geschrieben im Engadiner Idiom, gezeichnet von einem aus der Surselva und gedacht für Buben und Mädchen im ganzen Bündnerland. Erst die deutsche Übersetzung ebnete aber dem Kinderbuch den Weg in die weite Welt und machte Alois Carigiet weltweit zum Star unter den Kinderbuch-Illustratoren.
Der Weg durch die Ausstellung ist so trickreich wie die Geografie Graubündens. Flurina eilt uns auf einer plakatgrossen Originalzeichnung voran. Vorbei an bemalten Holzschlitten und Infotafeln, an künstlichen Felsen und Carigiets besticktem Malerkitteli, an Entwürfen für verspielte Wandbilder und Stabellen zum überraschenden Alois Carigiet. Dem Plakatkünstler. Wow. Da ist Power und Humor, Kritik und Verherrlichung.
Eine blonde Frau reisst ihre rote Bluse auf. Ihr gestählter Oberkörper ist eine Winterlandschaft mit glitzerndem Schnee, einem Wanderer und einer die Gipfel überstrahlenden Sonne. «Innere Kraft durch Winterferien» verheisst sie – und wir würden am liebsten die Koffer packen. Den Weg ins Traumferienland Schweiz zeigt uns Carigiet auch: Die Serpentinenstrasse schwebt durch Täler, prächtige Wälder und schmucke Dörflein. Ihr Ziel: Ein Sönneli, in dem die Schweizer Gipfelfahne zeigt, wo Gott hockt. Gross schwebt das weisse Kreuz auf rotem Grund auch über dem Zürichsee, ruft 1939 zur Landi.
Das ist viel Pathos, doch man erträgts leicht, weil Carigiet mit klaren Formen und Farben seine Bildwelten kreierte – und selbst Kleiderwerbung mit Humor verkaufte. Der Pudel für Fein Kaller, der stolze Gockel im blauen Jackett für die Kleiderfirma PKZ sind so augenzwinkernd wie werbewirksam: Und vor allem sind sie Schlüsselwerke der modernen Schweizer Plakatkunst.
Wer weiss das noch? Und wer weiss, dass Alois Carigiet ein Mitbegründer des frechen und politischen Cabaret Cornichon in Zürich war? Er entwarf den Gurkenvogel als Signet, aber auch die Bühnenbilder. Sein Bruder Zarli wurde dort nicht nur als Schauspieler entdeckt, sondern zog auf der Bühne auch die Landi durch den Kakao.
Wie ruhig wirken dagegen die Gemälde des Malers Carigiet: In die Tiefe gestaffelte Ausblicke auf Berge, Menschen Häuser . . . Da sehen wir Heimat mit dem erhabenen Blick und dem Können des modernen Malers, des Künstlers der in sein Berg-Paradies zurückgekehrt war.
Widersprüche noch und noch. Im Mellinger Rathauszimmer aus dem 17. Jahrhundert sehen wir historische Bündner Kostüme. Falsch: Sie sind neu, sind für den Dreh des Schellen-Ursli-Films des Mellinger Oscar-Preisträgers Xavier Koller gefertigt. Wir ahnen vor den Fotos, dass der Film so urtümlich wie erfolgreich werden wird. Kinostart ist im Herbst.
In einer Spiel- und Verweilwelt treffen wir den Schellen-Ursli und seine Kinderbuch-Genossen Flurina, Zottel und das bisher unbekannte Gämslein Krickel. Ihm wollte Carigiet sein siebtes Kinderbuch widmen. Kinder und Grossmütter und Heimwehbündner werden sich zwischen den kleinen Originalen und den wandgrossen Illustrationen wohl fühlen. Und selber mal ausprobieren wie es wäre als Uorsin. Eine Glocke steht bereit. Sie ist «ukäibe schwer».
Alois Carigiet Kunst, Grafik, Schellen-Ursli. Landesmuseum Zürich, bis 3. Januar. Katalog: bei Orell Füssli, Fr. 19.80.