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Gregory Knie, der Zirkusdirektor und Vertreter der 7. Generation der Familie Knie, erklärt, wie man in Zeiten des Terrors trotzdem fröhlich sein und unterhalten kann.
Gregory Knie empfängt uns in seinem Wohnwagen gleich hinter dem Zirkuszelt – wobei der Begriff «Wohnwagen» zugegebenermassen etwas untertrieben ist: Das riesige Vehikel muss von einem Lastwagen gezogen werden und bietet den Komfort einer Kleinwohnung: Entrée, Esszimmer mit Küche, Badezimmer, Schlafzimmer mit Büroecke. Dabei würde Knie nicht allzu weit vom «Salto-Natale» entfernt wohnen. Doch nach den Vorstellungen wird es spät – vor allem aber gehört zum Zirkusleben eben auch das Wohnen auf Rädern dazu.
Gregory Knie: Was in Paris passiert ist, berührt uns alle. Im Zirkus möchten wir einen Gegenpol zu dieser traurigen und angsteinflössenden Welt schaffen. Wir wollen die Menschen aus ihrem Alltag holen, Fantasie und Träume anregen.
Im Gegenteil! Wir würden noch mehr Power und Energie in unsere Auftritte legen. Wer sich demoralisieren lässt, ist am Boden. Wir hingegen lassen uns nicht einschüchtern und wollen mit dem Zirkus eine fröhlichere Realität schaffen – positive Energie weitergeben, um diese traurigen Geschehnisse für einen Abend zu vergessen.
Der 38-jährige Gregory gehört zur 7. Generation der legendären Zirkusfamilie Knie. Er ist das einzige Kind von Erica und Rolf Knie. Gregory wuchs bis sieben im Circus Knie auf und trat als Peter Pan auf. Nach der Trennung seiner Eltern lebte er in Spanien und Costa Rica, danach studierte er Wirtschaft an einer US-Universität in Florida. Mit 24 kam er zurück in die Schweiz und gründete zusammen mit seinem Vater den Wintercircus «Salto Natale». Sein Zelt steht in Zürich Kloten, am Mittwoch war Premiere des diesjährigen Programms «Traumfänger». 2011 gründeten sie den Erotikzirkus «Ohlala». Zudem sind sie am Nationalcircus Knie beteiligt. Gregory hat eine Partnerin und lebt in Freienbach SZ.
Was mich stört, ist diese Doppelmoral. Jede Sekunde sterben Menschen – nicht durch eine Bombe, sondern an viel banaleren Dingen wie zum Beispiel Wassermangel. Für die Menschheit ist so etwas viel peinlicher als der Terror – und trotzdem interessiert sich niemand dafür. Da müsste man beginnen, sich Gedanken zu machen. In Menschenleben gerechnet sind die Anschläge in Paris ein Bruchteil im Vergleich zum Leid, was jeden Tag und ebenfalls durch Menschenhand auf der Welt passiert.
Das Resultat ist am Schluss aber das gleiche. Es ist falsch, wenn wir uns nur dafür interessieren, was in unserer nächsten Nähe passiert. Nur was einen selbst betrifft, löst Emotionen aus – eine solche Einstellung ist auch beschränkt. Wir müssen den Blick auf das grosse Ganze werfen.
Das stimmt. Deshalb sollte jeder von uns eine innere Grundeinstellung aufbauen, dank der er mit schwierigen Situationen umgehen kann, und nicht mal kurz wegen einer einmaligen schrecklichen Tat schockiert sein. Diese Schnellebigkeit in unserem Denken nervt mich enorm.
Ich bin Botschafter von «One Drop Foundation», einer Organisation, die sich für genug Wasser für alle einsetzt. Zudem spreche ich of vor dem Einschlafen ein Gebet für Menschen in Not aus ...
Nicht im Sinne der kirchlichen Lehre. Aber ich glaube daran, dass es stärkere Kräfte gibt, die uns beeinflussen. Mit meinem Gebet wird mir jedes Mal bewusst, dass es Menschen in Not gibt und wir etwas dagegen tun müssen. Unserer Gesellschaft fehlt es an Mitgefühl für die benachteiligten Länder etwa in Afrika, da die Weltgeschehnisse von den Medien gesteuert werden. Wir hängen ständig am Smartphone, bekommen nicht mit, was um uns herum passiert oder sonst wo auf der Welt. Da nehme ich mich selber überhaupt nicht aus. Und stellen Sie sich vor: Wenn man während unserer Vorstellung einen Blick hinter die Bühne wirft, dann sitzen dort unsere Artisten mit ihren Smartphones in der Ecke. Es ist schlimm!
Absolut! Mit viel Disziplin und Training ist das sicher möglich, auch wenn Zirkus bei uns weit weniger gefördert wird als beispielsweise in China. Dort investiert der Staat jährlich rund eine Milliarde Dollar in hochprofessionelle Trainingszentren. Solche Artisten-Fabriken gibt es bei uns nicht, jedoch schafft trotzdem auch immer mal wieder ein Schweizer den Sprung in die ganz grosse Manege.
An die Schlangenfrau Nina Burri zum Beispiel. Sie präsentiert sich sensationell, und obwohl sie aus artistischer Sicht nicht mit der chinesischen Konkurrenz mithalten kann, feiert sie mit ihren Auftritten grosse Erfolge.
Ich war schon in verschiedenen Zentren zu Besuch. Es wird sehr hart und diszipliniert trainiert – den Artisten geht es aber weit besser, als wenn sie einer normalen Arbeit in China nachgehen würden. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede zur Schweiz, und den harten Umgang miteinander sind wir uns nicht gewohnt. Trotzdem muss man das respektieren. Ich habe mal bei einer chinesischen Gruppe, die bei uns war, beobachtet, wie ein Trainer seinem Artisten eine Ohrfeige verabreichte ...
Aus dem Moment heraus ja, sah dann aber nach einem kurzen Moment, wie sich die beiden wieder lachend in den Armen lagen.
Nicht zwingend. Bei den Schweizern fallen die Hotel-, Flug- und Bewilligungskosten weg, was den höheren Lohn etwas ausgleicht. Ohnehin aber gibt es bei internationalen Stars einen Marktlohn. Da spielt die Herkunft keine Rolle.
Das technische Können bildet die Basis. Das jedoch bringen viele mit. Darum ist mindestens genauso wichtig, ob ein Artist Emotionen empfinden lässt und das Publikum berühren kann. Jonglieren können viele – aber nur wenige können das Publikum damit in Bann ziehen.
Wenn ein Top-Akrobat in mehreren Galas pro Monat auftritt, kann er damit locker zwischen 30 000 und 50 000 Franken verdienen. Allerdings ist diese Phase recht kurz, vergleichbar mit einem Spitzensportler.
Comedy! Denn es gibt es einfach viel weniger top Comedian als Akrobaten.
Ach, immer diese Fragen nach dem Geld ... Mit ein paar Wochen Salto Natale wird man nicht reich. Zudem gehen mein Vater und ich Jahr für Jahr erhebliche Risiken ein, schliesslich erhalten wir im Gegensatz zu vielen anderen kulturellen Institutionen keine Unterstützung vom Staat. Wir investieren mehrere Millionen und wissen nicht, ob wir Erfolg haben werden.
Grosse artistische Innovationen sind begrenzt, da es um menschliche und nicht um maschinelle Begabungen geht. Trotzdem bieten wir natürlich jedes Jahr etwas Neues. Der Zirkus soll die Menschen zum Staunen bringen und für einen Abend deren Alltag hinter sich lassen.
Doch, sehr viele sogar. Viele Artisten beginnen, mit Lichteffekten und Projektionen zu experimentieren. Bis das Ganze jedoch komplett ausgereift ist, dürfte es zwar noch einige Zeit dauern. Das ist die Zukunft.
Solche Dinge könnte ich mir durchaus vorstellen. Sobald das technisch umsetzbar ist, werden wir uns damit auseinandersetzen.
Das Angebot ist in der Tat viel grösser geworden. Es gibt immer mehr vergleichbare Events, und im Internet kann man viele Artisten-Nummern kostenlos sehen. Früher gab es in Frankreich Zelte für 10 000 Personen, davon können wir heute nur träumen. Alle Zirkusse sind mit kleineren Zelten unterwegs. Es kommt aber auch eine Gegenbewegung auf von Leuten, die bewusst die echte und unverfälschte Zirkusatmosphäre suchen, wo bei einer Nummer auch mal was schiefgehen kann.
Ja, es ist tatsächlich unglaublich, dass es in der kleinen Schweiz 26 Zirkusse gibt! Ich vermute, es hängt es damit zusammen, dass wir in einem sehr kaufkräftigen Land leben.
Positiv und entspannt. Man ist befreundet und unterstützt sich gegenseitig. Nur wenn bei der Planung mal ein Fehler passiert und zwei fast gleichzeitig in derselben Stadt spielen, dann kommt es schon mal zu Problemen.
Früher gab es immer mal wieder Reibereien. Meine Generation jedoch hat es sehr gut untereinander. Leider sehen wir uns nicht allzu oft, wir arbeiten viel.
Das nehme ich nicht allzu ernst, auch wenn ich mehr unter Beobachtung stehe als andere. Ich versuche immer, mein Bestes zu geben – ob ich jetzt Müller, Meier oder Knie heisse. Das ist eine Einstellungssache. Abgesehen davon bin ich mir bewusst, dass die Zirkustradition in der Familie Knie auch ohne mich weitergeführt werden wird. Das nimmt viel Druck weg.
Es öffnet vielleicht viele Türen, jedoch sind die Erwartungen umso höher. Bei den Artisten hingegen schnellt der Preis in die Höhe (lacht). Spass beiseite: Artisten sind nicht wählerisch in Bezug auf ihre Arbeitgeber. Es gilt «first come, first serve» – auch für die Knies.
Genial! Wir haben zusammen einen Nachmittag im ehemaligen Haus von Charlie Chaplin verbracht. Ich habe ihn als total bescheiden und unkompliziert erlebt: Er kam damals in einem Ford Fiesta angefahren, einzig begleitet von seinem Manager. Ich war ein riesen Fan, konnte mein Glück kaum fassen. Sein Autogramm für mich liegt noch heute in meinem Safe.
Es war phänomenal! Was gibt es Schöneres für ein Kind, als herumzureisen, in der Manege zu spielen, Tiere um sich herum zu haben? Als ich zwölf Jahre alt war, sind wir nach Mallorca ausgewandert und ich bin in einem normalen Umfeld aufgewachsen. Ziemlich lange wollte ich nicht wieder zurück in die Schweizer Zirkuswelt. Dann hat es sich doch so ergeben. Ich liebe es, auf Ideensuche zu gehen, an Nummern zu tüfteln und auch die ganze Atmosphäre in unserer Branche. Ich bin ein Mensch, dem es immer sehr schnell langweilig wird. Im Zirkus passiert das nie. Und ich kann meine kreativen Eingebungen ausleben.
Wir sind gleichgestellt. Ich führe derzeit das Tagesgeschäft, mein Vater ist sehr aktiv als Berater tätig. Der Zirkus gehört uns halb, halb. Eine goldene Aktie gibt es nicht, wir müssen uns also immer einigen.
Das gab es schon lange nicht mehr – ehrlich! Wir führen ab und zu Diskussionen über Kleinigkeiten im Zirkusalltag, das ist aber immer sehr produktiv und gibt neue Inspiration.