Die Werkschau des Schweizer Jazz geniesst das wiedergewonnene Festivalerlebnis, trauert aber um den verstorbenen Co-Leiter Urs Vögeli.
Schaffhausen ist erwacht. Die frühlingshaften Temperaturen haben die Leute in die Gassen der malerischen Altstadt getrieben, wo am Wochenende die Strassencafes ihren vollen Charme spielen liessen. Auf der Terrasse beim Kammgarn warteten bei fast 20 Grad immerhin vierzehn Vierertische auf die kleine, exklusive Schweizer Jazzgemeinde. Masken waren noch allgegenwärtig, aber ein Gemeinschaftserlebnis war wieder möglich. Die letztjährigen Erfahrungen des Streamings wurden als Ergänzung weitergeführt und verbessert. Überschattet wurde die allgemeine Freude über das wiedergewonnene Festivalerlebnis vom Tod des Co-Leiters Urs Vögeli wenige Tage vor dem Festival.
«Ein harter Schlag für das Festival», erklärt Co-Leiter Urs Röllin, denn der 45-jährige Vögeli stand für die nachrückende Generation, die weiter führen sollte, was die Gründergeneration in den letzten 32 Jahren aufgebaut hatte. Doch im Sinn von Vögeli wurde die 32. Ausgabe des viertägigen Festivals programmgemäss durchgeführt. Selbst die Band Grünes Blatt, in der Vögeli als Gitarrist hätte mitwirken sollen, liess sich ihren Auftritt nicht nehmen und widmete das Konzert ihrem verstorbenen Mitmusiker. Es sind tieftraurige, melancholische Lieder aus Transsilvanien, die die Band interpretiert. Liedhafter Jazz, der vor dem Hintergrund des Schicksalsschlages noch trauriger, noch schwermütiger wirkte und zwischen tiefer Sehnsucht und tiefem Abgrund schwankte.
Den Schaffhauser Festivalmachern ist es auch in diesem Jahr gelungen, aus rund 120 Eingaben und Bewerbungen einen kleinen Querschnitt des aktuellen Schweizer Jazzschaffens zu zeigen, der den Anspruch einer Werkschau ansatzweise erfüllt. Herausfordernd, gewöhnungsbedürftig, aber umso spannender ist Bubaran, die Band des Posaunisten Andreas Tschopp, die sich den ebenso fremden wie geheimnisvollen Klängen angenommen hat, die vor Jahrhunderten an den Fürstenhöfen der Inseln Java und Bali entstanden. Kaum etwas anderes klingt in unseren westlichen Ohren so schräg wie diese Intervalle der Gamelan-Musik. Trotzdem ist es den fünf Spitzenmusikern mit Tschopp, Matthias Spillmann (Trompete), Bernhart Bamert (Posaune), Ronny Graupe (Gitarre) und Lionel Friedli (Schlagzeug) gelungen, das sperrige Vehikel zum Fliegen zu bringen.
Das ist zu einem grossen Teil auch das Verdienst von Schlagzeuger Lionel Friedli, der an diesem Freitag so etwas wie ein Festival im Festival mit ihm in der Hauptrolle bestritt. Der Bieler Schlagzeuger ist ein Hans-Dampf, ein Alleskönner. Das Quartett des Genfer Nicolas Masson mit Colin Valon am Klavier ist nach Bubaran Balsam auf die Ohren, aber auch etwas langweilig. Hier ist eher die feinfühlige Seite von Friedli gefragt, aber auch mal derjenige, der aufrüttelt, wenn das Ganze zu glatt und gefällig zu drohen wird.
Davon ist Heiri Känzigs neue, hochkarätige Band Traveling mit dem fantastischen Mathieu Michel (Flügelhorn) weit entfernt. Mit ansteckender Spielfreude wagte die Band den Spagat zwischen Arabesken, afrikanischen Grooves und alpinen Klängen. Hier ist Friedli mit Bandleader der packende Antreiber und Groover. Hochverdient, dass er in diesem Jahr mit dem Schweizer Musikpreis geehrt wird.
Zu den spannendsten Schweizer Band gehört das Trio Kali mit Raphael Loher (Klavier), Nicolas Stocker (Drums) und Urs Müller (Gitarre) aus dem Umfeld des Minimal-Jazz von Nik Bärtsch. Die repetitiven Elemente entwickelten in langen Bögen zunächst einen unwiderstehlichen Sog. Doch gelang es der Band in Schaffhausen leider nicht ganz, die Intensität zu steigern und die Sogwirkung bis am Schluss aufrecht zu erhalten.
Zu den vielversprechendsten neuen Bands gehört auch Voodoism des Posaunisten Florian Weiss. Sie wird von Pro Helvetia prioritär gefördert und gerade ein wunderbares neues Album veröffentlicht. Die pianolose Band lebt vom Zusammenspiel des Bandleaders mit dem Altsaxofonisten Linus Amstad. Auf der kompositorischen Ebene hat die Band nochmals einen grossen Schritt vorwärts gemacht. Die Band hat grosses Potenzial, doch wünschte man sich der Mut noch etwas mehr Mut und Risikobereitschaft. Vor allem Florian Weiss hat alle Voraussetzungen dazu.
Zu einem Höhepunkt wurde, was man vielleicht am wenigsten erwartet hätte. Nicht dass wir nicht um die Fähigkeiten des international gefragten Christian Weber wussten. Doch Bassisten-Witze sind legendär und allzu oft erwirken an den Konzerten Basssoli einen dramatischen Spannungsabsturz. Was der 49-jährige Kontrabassist aber in seinem 25-minütigen Solo-Auftritt zeigte, verdient das Verdikt Extraklasse. Es war eine Art Rehabilitierung eines unterschätzten Instrumentes, das unter Meister Weber eine unglaubliche Klangfülle offenbarte. Nie mehr Bassistenwitze!