Débutroman
Auf Facebook knallig, zwischen Buchdeckeln erstaunlich brav

Bisher trat die Appenzeller Autorin Jessica Jurassica als rotzig-arrogante Kunstfigur in den sozialen Medien auf. In ihrem Débutroman zeigt sich die 27-Jährige verletzlich. Ihr Buch «Das Ideal des Kaputten» geht manchmal tief, bietet aber etwas viel Selbstbespiegelung.

Roger Berhalter
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Jessica Jurassica schreibt einen Roman? Das klingt etwa so irritierend, als würde Peter Stamm nur noch Texte auf Twitter posten. So wie man den Thurgauer als Romanautor kennt, ist die anonym auftretende Medienkünstlerin aus dem Appenzellerland vor allem für Beiträge in den sozialen Medien bekannt. Für Twitter-Posts voller Szenejargon, für Fotos von vollen Aschenbechern und leeren Bierdosen auf Instagram.

Okay, im vergangenen Sommer hat die 27-Jährige einen trashigen Erotikroman rund um Bundesrat Alain Berset veröffentlicht, der viel zu reden gab. Jetzt aber kommt ihr erster «richtiger» Roman: «Das Ideal des Kaputten». Den Titel hat sie kurzerhand von einem anderen Buch geklaut, und auch sonst stellt sie Konventionen gerne in Frage. Sie beschreibt im Buch die vergangenen gut zwei Jahre, von einem «seltsam riechenden Sommer» bis zur Coronapandemie. Die Entstehungsgeschichte des Romans liefert sie gleich mit; einmal schildert sie, wie sie sich mit ihrem Zürcher Verleger trifft, der «Das Ideal des Kaputten» jetzt auch herausgegeben hat. Zudem finden sich im Buch Songtexte von Portishead bis Tocotronic sowie Auszüge aus Briefen, Tagebucheinträgen und E-Mails.

Jessica Jurassica tritt stets anonym und mit Sturmmaske auf.

Jessica Jurassica tritt stets anonym und mit Sturmmaske auf.

Bild: zvg

Es geht wieder um Sex und Drogen, schon auf der allerersten Seite schneidet Jessica Jurassica beide Themen an. Doch es geht zum Glück noch um mehr. «Das Ideal des Kaputten» erzählt von einer jungen Frau, die sich dagegen wehrt, in erster Linie als junge Frau zu gelten und die für sie vorgesehene Rolle zu spielen.

Der Säntis löst unangenehme identitäre Regungen aus

«Freundinnen sind die Verliererinnen der Gesellschaft», heisst es an einer Stelle. Jessica Jurassica möchte nicht einfach ihren Körper zur Verfügung stellen und «unverhältnismässig viel Care-Arbeit» leisten, und sie möchte nicht jene sein, die im Publikum zuvorderst steht und zur Band auf der Bühne aufschaut:

«Das Girl, das bei jeder Show dabei ist. Die Spielerfrau auf der Tribüne.»

Diese Momente sind denn auch die besten des Romans. Wenn Jessica Jurassica als Feministin auftritt und sich gegen die alte strukturelle Ungerechtigkeit mit neuen eigenen Worten wehrt. Sie, die aus einem Kanton stammt, «in dem das Frauenstimmrecht drei Jahre vor meiner Geburt eingeführt worden war», hat zu diesem Thema viel zu sagen.

Immer wieder arbeitet sie sich an ihrer Appenzeller Herkunft ab. Am Säntis, der früher «den Schatten toxischer Heimatgefühle auf meine Kindheit» warf und bei ihr bis heute «unangenehme identitäre Regungen» auslöst. Oder am Primarlehrer, der ihr im Unterricht den Nacken massierte, um zu demonstrieren, was ein Übergriff sei.

Hier zeigt sich Jessica Jurassica erstmals verletzlich, während sie bisher nur als rotzig-arrogante Kunstfigur auftrat. Man nimmt es ihr ab und es gibt zu denken, dass sie sich erst beim Frauenstreik 2019 in Bern zum ersten Mal sicher gefühlt habe: «Da hatte man ahnen können, wie es sein könnte.»

Kein Vergleich zu den provokativen Beiträgen tief unter der Gürtellinie

Andere Passagen des Romans sind langfädiger und banal. Wenn Jessica Jurassica ihre Reisen nach Südamerika und durch Europa niederschreibt, liest sich das oft wie ein simples Tagebuch:

«Keine Ahnung, was ich in Amsterdam die ganze Zeit machte, vermutlich spazierte ich einfach ein bisschen umher, bis es mir zu kalt wurde.»

Aha.

An vielen Stellen kreist der Text vor lauter Selbstbespiegelung nur noch um sich selbst. Von der ersten bis zur letzten Seite erzählt Jessica Jurassica von sich, was deshalb ermüdend ist, weil viele ihrer Probleme Luxus sind und wenig interessieren. Man würde ihr dann am liebsten all die berauschenden Pillen und Pulver aus der Hand reissen und ihr raten, mit dem Jammern aufzuhören.

Sprachlich bleibt «Das Ideal des Kaputten» erstaunlich brav. Kein Vergleich zu den provokativen Beiträgen tief unter der Gürtellinie, die man sonst von ihr kennt. Wer es laut und knallig mag, folgt der Autorin besser auf Facebook oder Instagram oder hört in ihr Bandprojekt Capslock Superstar hinein. Wer aber einen nüchternen und ernüchternden Blick auf das Leben einer jungen Frau erhalten möchte, die sich trotz aller Privilegien noch immer in einer Männerwelt behaupten muss, dem sei der Roman empfohlen.