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Samuel Steinemann verlässt Boswil nach kurzer Zeit. Der Stiftungsrat muss sich nun fragen: Was muss der neue Geschäftsführer können?
Was läuft falsch am Künstlerhaus Boswil, diesem kleinen Paradies? Oder anders gefragt: Warum trennt sich der Stiftungsrat nach nur eineinhalb Jahren von seinem Geschäftsführer Samuel Steinemann? Zumal es eine Periode war, in der Steinemann gegen aussen fast nichts zeigen konnte: Kaum hatte sich der ehemalige Intendant des Theater Casino Zug im Winter 2019/2020 in Boswil eingearbeitet, erschütterte die Welt im März 2020 der erste Corona-Lockdown, was eine ungemein grosse Herausforderung für ihn war, da in diese Zeit der Abschluss des umgebauten Sigristenhauses fiel.
In der kurzen Mitteilung des Stiftungsrates wird auch Steinemanns finanzielles Geschick gelobt, sei es ihm doch gelungen, den Betrieb dank grosszügigen Spenden, erfolgreichem Fundraising und konsequentem Ausgabencontrolling auf finanziell gesunde Beine zu stellen. Auch die Digitalisierung und das Projektmanagement trieb der Innerschweizer voran. Aber Steinemann wirkte auch künstlerisch: Man staunte, als ein Meisterkurs (und ein Konzert) mit Bariton-Legende Thomas Hampson im Programm auftauchte. Das war ein Name von Welt, da war ein neuer Wind.
Kaum ist die Corona-Krise einigermassen im Griff, kaum sind künstlerisch Perspektiven da, muss Steinemann gehen.
Der Hauptgrund für die Trennung liegt in der «unterschiedlichen Auffassung der Führungs- und Organisationsstruktur». Die Parteien – Steinemann und Stiftungsratspräsident Peter Wipf – wollen diese Aussage nicht näher kommentieren. Aber gefragt, welchen Geschäftsführer Boswil denn brauche, deutet Wipf an, dass diese Person vor allem für die operative Leitung tätig sein müsse. Anders gesagt: Der Boswiler Geschäftsführer trägt zwar die Gesamtverantwortung des Künstlerhauses, regelt unter anderem die Finanzen, lässt aber seine Projektleiter und Projektleiterinnen am langen Zügel, damit sie sich künstlerisch entfalten können.
Und so ist schnell 1 und 1 zusammengezählt, geklärt, warum es mit Steinemann wohl nicht klappte: Er wollte auch künstlerisch vorangehen, Neues wagen. Und das war den vier Projektleitern Hugo Bollschweiler, Anne-Cécile Gross, Andreas Fleck und Stefanie C. Braun zu viel des Guten. Bald tauchte die Frage auf: Wer ist wichtiger, die Projektleiter oder der Geschäftsführer?
Doch sollte ein neuer Geschäftsführer in Stein gemeisselte Schönheiten nicht hinterfragen, gar Fragen zum «Boswiler Sommer» stellen?
Gewiss, dieses Festival ist erfolgreich, ja einzigartig, hat viel zum Ansehen von «Boswil» beigetragen, da Projekt- und Festivalleiter Fleck es schaffte, immer wieder neu zu überraschen. Aber nach 20 Jahren ist es nicht verboten, den «Sommer» neu zu denken. Auch die Ausrichtung der erfolgreichen Meisterkonzerte, dem zweiten Boswiler Brand, ist diskutierbar.
In kleinen Königreichen gelten ungeschriebene Gesetze noch mehr als in grossen Demokratien, nicht immer ist klar, wer dort der König ist. Umso mehr muss die Zusammenarbeit zwischen all den kleinen Königen auch menschlich bestens klappen, damit die Idylle nicht getrübt wird. Kann sich jemand nicht entfalten, kommt es zum Konflikt, gar zur Revolution.
Der Stiftungsrat muss nun definieren, welchen Geschäftsführer oder welche Geschäftsführerin man in Zukunft will. Klar ist, dass ein Künstlerintendant in Boswil an der falschen Adresse ist, solange man den Projektleitern ihre Autonomie belassen will. Und zu fragen gilt es, ob es den künstlerisch agierenden Geschäftsführer überhaupt braucht, ob der stolze Titel nicht ein Trugschluss ist.