Anton Krättli war ein Publizist, der die Zeitgeschichte des Kantons wie wenige prägte. Bei Hermann Burger ist er als Romanfigur verewigt. Dieser Tage hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert.
Wie sonst fast nur noch Jean Rudolf von Salis, der «Weltchronist» und Schlossherr von Brunegg, zählte der in Lenzburg, Aarau und Zürich als Redaktor tätig gewesene Anton Krättli (1922–2010) ein halbes Jahrhundert lang zu den schweizweit beachteten Autoritäten im Kulturleben.
Über die 1952 gegründete Stiftung Pro Argovia gehörte er in seinem Kanton ab dem Jubiläumsjahr 1953 zu den Promotoren eines Aufbruchs. Dieser gipfelte 1969 in der von fast niemandem erwarteten Annahme des Aargauer Kulturgesetzes. Dazu hatte, als Parlamentarier, Krättlis Lenzburger Weggefährte Markus Roth wesentlich beigetragen. 1953 schrieb Krättli: «Die wechselvolle Geschichte der einzelnen Kantonsteile hat verhindert, dass der Aargau innerlich zu einer Einheit zusammenwuchs. Das zeigt sich darin, dass das Stimmvolk gemeinsame kulturelle Aufgaben nicht erkennt, wie die Verweigerung eines Neubaus der Kantonsbibliothek bewiesen hat.» Schon 1972 warnte er vor dem Abstieg von Aargauer Gemeinden in Vororts- und Schlafstädte.
Im neuen Band «Zeitgeschichte Aargau» wird eine Mappe von Krättli zum Thema Landschaftsstadt» vorgestellt: Visionen des Fortschritts, wovon sich auch Politiker wie Werner Geissberger und der Architekt Hans Rusterholz begeistern liessen.
Der Redaktor und Publizist Krättli wurde Erneuerer der Innerstadtbühne Aarau, mit professionellem Theater, das schwerpunktmässig auf Gegenwartsbezug ausgerichtet war. Dazu war er mit Martin Meyer und Jean Rudolf von Salis prägend für das Stapferhaus Lenzburg. Schriftstellertagungen, etwa mit Erika Burkart, Ernst Eggimann, Klaus Merz, Urs Faes und Hermann Burger, der diesen Sommer 80 geworden wäre, gewannen eine Ausstrahlung, wie sie selbst in Solothurn nur selten zu Stande kam.
Als Redaktor der «Schweizer Monatshefte» trug Krättli mit frühen Veröffentlichungen und wesentlichen, keineswegs nur lobenden Kritiken massgeblich zum Durchbruch nicht nur von Hermann Burger, auch von E.Y. Meyer («Die Rückfahrt») und noch anderen Autoren einer kurzzeitigen Deutschschweizer Literaturblüte bei.
Krättli gehörte zu den Promotoren des Aargauer Literaturpreises. Über dessen Träger, darunter Erika Burkart (1980), hielt er profilierte Preisreden. Dazu Hansjörg Schneider, Preisträger von 1986: «Krättlis Rede war gespickt mit so vielen Wenn und Aber, was ich besser hätte machen können, dass ich auf die ‹Rede des Preisträgers› verzichtet habe. Eine Zeit lang grüssten wir einander nicht mehr. Jahre später rief er mir aber dann auf der Strasse zu, wie gut mein Roman ‹Das Wasserzeichen› gelungen sei.»
Krättlis Anfänge als Kritiker und Publizist gehen auf seine Zeit als Redaktor in Lenzburg zurück. Er schrieb nicht nur über den in Wohlen aufgeführten, um 1948 führenden Autor Cäsar von Arx. Der Student Krättli war im März 1947 auch in Zürich bei der skandalträchtigen Uraufführung von Dürrenmatts Erstling «Es steht geschrieben» zugegen. Gut kannte er Dürrenmatts ersten Dramaturgen, den in Baden lebenden Exil-Tschechen Peter Lotar. Und meine erste Buchbesprechung im Auftrag von Krättli betraf dann auch Lotars Autobiografie «Das Land, das ich dir zeige». In Baden gehörte jener Autor bis zu seinem Unfalltod zum Stadtbild.
Anton Krättli, 1994 selbst mit dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet, gehört, wie einer seiner Nachfolger im Feuilleton des «Aargauer Tagblatts» bedauerte, als «Vertreter der Generation von Salis» (Markus Bundi) heute leider zu den fast Vergessenen.
War der grosse von Salis ein vom Schloss heruntergestiegener Aristokrat, ist der Pöstler-Sohn aus Laufenburg zu einem exemplarischen Bildungsbürger aufgestiegen: in seiner nüchternen, doch begeisterungsfähigen Art ein Aargauer in der Tradition eines Heinrich Zschokke. Dies bedeutete, in (fast) allen Sparten der Kultur zu Hause zu sein.
Dank seiner Zürcher Dissertation «Über die Farben in der Lyrik der Goethezeit» fand Krättli, der gerne malte, zumal den Draht zu Aargauer Landschaftsmalern. Sein Ferienhaus in Aesch am Hallwilersee wurde auch dank der Gastgeberin, Gattin Hélène, gebürtig aus Aaraus Spielwarenhaus Hemmeler, zu einem Treffpunkt von musisch Begeisterten. Hier war dann und wann auch der Ferrari von Hermann Burger eingeparkt.
Nach Krättlis Kürzel «ask», mit dem «s» nach Studenten-Cerevis «smoke» zwischen den Initialen, kam es dann, so vermutet Sohn Rolf Krättli, zu Hermann Burgers Romanfigur Adam Nautilus Rauch. Diese Verewigung findet sich im Roman «Brenner», Kaspar Villiger gewidmet.
In Aarau hielt, die letzte Hommage des Stapferhauses, Hans Ulrich Glarner 2010 die Trauerrede für Anton Krättli. Der brillante Stilist war auch einer der wenigen Aargauer Meister der Literaturkritik.
Seetaler Poesiesommer: Matinee zu Ehren des Kulturpioniers Anton Krättli. Samstag, 10. September, 11 Uhr. Altes Pfarrhaus Fahrwangen.