Es ist zum Verzweifeln, jedenfalls aus der Sicht eines flüchtigen ausländischen Beobachters: Obwohl Hillary Clinton von Kopf bis Fuss kompetenter wirkt als ihr republikanischer Kontrahent, ist Donald Trump der demokratischen Präsidentschaftskandidatin dicht auf den Fersen. Daran wird wohl auch die erste Fernsehdebatte nichts ändern, in der Trump eine höchst durchzogene Vorstellung abgab, unvorbereitet wirkte und gefährliche Signale an die Verbündeten und Feinde Amerikas aussandte.
Warum ist das so, sechs Wochen vor dem Wahltag? Warum ist es Clinton bisher nicht gelungen, Trump abzuhängen? Zwei Erklärungsversuche drängen sich auf. Zum einen ist da das politische Klima in den USA, die anhaltende Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern. Zum anderen gibt es berechtigte Vorbehalte gegen die Person Hillary Clinton.
Fast alle Amerikaner identifizieren sich mit einer der Grossparteien
Zuerst zur Polarisierung. Obwohl in der Berichterstattung über die Wahlen immer wieder die Rede von unentschlossenen Wählerinnen und Wählern ist, gibt es in Tat und Wahrheit nur wenige Amerikaner, die sich nicht mit einer der beiden Grossparteien identifizieren. Die Rede ist von fünf bis zehn Prozent des Souveräns. Das ist eine vergleichsweise kleine Gruppe. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben sich deshalb darauf spezialisiert, ihre Stammwähler an die Urne zu bringen. Die Präsidenten Bush und Obama fuhren dank dieser Strategie Siege ein.
Diese Taktik hinterliess aber verbrannte Erde, weil sich diese Wählergruppen am besten mobilisieren lassen, wenn man den Kontrahenten verteufelt. Aus diesem Grund organisierten die Republikaner im Jahr 2004 eine breite Kampagne gegen die Eheschliessung von Homosexuellen; und 2012 wurde Kandidat Mitt Romney von fast sämtlichen Amtsträgern der Demokraten als sexistischer Patriarch beschimpft.
Die Wunden, die in solchen Wahlkämpfen geschlagen wurden, heilen nur langsam. Das Lagerdenken in beiden Grossparteien hält an. Selbst ein polarisierender Präsidentschaftskandidat kann fast automatisch auf ein Polster von 40 bis 45 Prozent der Stimmen zählen, weil die wenigsten Demokraten bereit sind, plötzlich für einen Republikaner zu stimmen – und umgekehrt. Hinzu kommt, dass die amerikanischen Präsidentschaftswahlen einem gewissen Rhythmus folgen: Demokraten und Republikaner im Weissen Haus wechseln sich alle acht Jahre ab. Seit dem Zweiten Weltkrieg gelang es nur einem einzigen Kandidaten, dem Republikaner George Bush senior im Jahr 1988, einen Parteikollegen (Ronald Reagan) im Präsidentenamt zu ersetzen, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr kandidieren durfte. Theoretisch sollte der Kandidat der Republikaner im Wahljahr 2016 also über die besseren Karten verfügen.
Clinton verkörpert wie keine Zweite die «Classe politique»
Der andere Grund für die Zustimmungswerte Trumps? Der Unmut über die «Classe politique» in Washington. Derzeit sind nur gerade 18 Prozent der Amerikaner der Meinung, dass Demokraten und Republikaner ihre Arbeit tun. Clinton verkörpert wie keine zweite Politikerin das Spitzenpersonal der Hauptstadt. In den wichtigsten innen- und aussenpolitischen Debatten der vergangenen 25 Jahre spielte sie eine Rolle – manchmal im Zentrum des Geschehens, manchmal an der Seitenlinie: als First Lady (1993 bis 2001), Senatorin (2001 bis 2009), Aussenministerin (2009 bis 2012) und zweifache Präsidentschaftskandidatin (2008 und 2016). Ganz Amerika kennt sie, ganz Amerika hat sich über Hillary Rodham Clinton eine Meinung gebildet.
Es war deshalb kein Zufall, dass Trump am Montagabend sagte: Clinton spreche seit «30 Jahren» darüber, dass sie die wirtschaftspolitischen Probleme lösen wolle, unter denen viele Amerikaner leiden; dabei handle es sich aber bloss um leere Versprechen. «Sie haben nichts getan, Sie haben nichts getan», sagte der Geschäftsmann mehrere Male, als Clinton auf ihren Ideenkatalog hinwies. Er aber, der an der Spitze «einer Bewegung» stehe, werde in Washington aufräumen.
Das sind Worte, die unter vielen aufgebrachten Amerikanern auf Zustimmung stossen. Es wäre falsch, Trump abzuschreiben.