Am Sonntag wählt das südamerikanische Land einen Nachfolger des verstorbenen Volkshelden Hugo Chávez. Präsidentschaftskandidat Maduro sei trotz bester Chancen nervös, behaupten seine Gegner. Kontrahend Capriles ist aggressiver geworden im Ton.
In Venezuela streiten sich ein «Erbe Hitlers» und ein «inkompetenter Lügner» um das Erbe des verstorbenen Hugo Chávez. Das jedenfalls sagen die Kontrahenten Nicolás Maduro und Henrique Capriles über den jeweils anderen. Wahlweise liefern sich die US-Regierung und die kubanische Führung einen Stellvertreterkrieg in dem Erdölland.
Wahlkampf in der Karibik hat seine eigene Dynamik, doch die venezolanische Blitzkampagne stellt so ziemlich alles bisher Dagewesene in den Schatten. «Hier geht es nicht um Ideen, sondern nur um Gefühle», sagt Chávez-Biograf Alberto Barrera.
Prophet, Vögelchen, Erlöser
Chávez war ein Volksheld, ein politisches Phänomen, und seine sozialistische Einheitspartei (PSUV) hofft, am Sonntag mit dem Verstorbenen vorneweg den Sieg davonzutragen. Chávez prangt auf Wahlplakaten neben Regierungskandidat Maduro, Chávez fährt in TV-Spots in den Himmel, er wird auf Internetseiten als Prophet und Erlöser der Armen gefeiert, seine Reden werden endlos im Staatsfernsehen wiederholt; er erscheint Maduro als Vögelchen und wird als Heiliger angebetet.
«Ich bin hier, weil Chávez es befohlen hat», sagt Maduro bei seinen Wahlkampfauftritten. 6533-mal hat er seit dem Tod seines Ziehvaters dessen Namen erwähnt, so die oppositionelle Website «Madurodice».
Sein grösstes Plus ist, dass er im Dezember von Chávez persönlich zum Nachfolger gekürt wurde. Jetzt braucht er die demokratische Legitimation der Urne – und schlüpft dafür in die Schuhe seines Vorbilds. Wenn die Bourgeoisie siege, würde alles privatisiert und die Privilegien für das Volk würden gestrichen, droht der 50-jährige frühere Gewerkschafter ganz wie Chávez.
Manchmal spricht er auch von geplanter Sabotage und einem Mordkomplott, das die Bourgeoisie zusammen mit den USA ausgeheckt habe – wahlweise gegen ihn oder gegen Capriles. Dann wieder stimmt er vor Zehntausenden rotgewandeter Anhänger die kubanische Nationalhymne an.
All das löst bei der Opposition beissenden Spott und harsche Kritik aus. Maduro sei nervös, weil seine Kampagne schlecht laufe, so die harmloseste Interpretation. Die bürgerliche Rechte tritt wie vor sechs Monaten mit dem Anwalt und Gouverneur Capriles an.
Doch inzwischen pflegt der 40-Jährige, der im Dezember zehn Punkte hinter Chávez gelegen hatte, einen sehr viel aggressiveren Diskurs.
Maduro führt deutlich
Wenn er gewinne, flögen die kubanischen Militärberater aus dem Lande, und die Schenkerei an verbündete, sozialistische Bruderländer hätte ein Ende. Ansonsten zweifelt Capriles am Geisteszustand Maduros und lastet der korrupten Regierungsclique die hohe Gewaltkriminalität, Inflation und Güterknappheit an.
Der Gouverneur mobilisiert Zehntausende, die sich nicht mit dem bolivarischen Sozialismus identifizieren. Die Opposition hofft, dass sich die Defizite des Modells, die Chávez mit seiner charismatischen Persönlichkeit übertünchen konnte, nun gegen seine Nachfolger wenden.
Ob das gelingt, ist jedoch fraglich. Meinungsinstitute machen zwar einen Aufwärtstrend von Capriles aus, doch Maduro hatte bis vor kurzem einen Vorsprung von bis zu 14 Punkten. «Die Regierung schlachtet das Image von Chávez geschickt aus», so die Journalistin Cristina Marcano.
Ausserdem steht der komplette Staatsapparat einschliesslich der Erdölmilliarden und des Militärs im Dienst Maduros – ein Ungleichgewicht, das sogar den Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José-Miguel Insulza, beunruhigt. Die OAS wurde diesmal nicht zur Wahlbeobachtung eingeladen.
Einer Erhebung der Opposition zufolge verfügt Maduro über viermal mehr Rede- und Werbezeit in den Medien. Zudem kontrolliert die Regierung die Justiz, den Wahlrat und fünf Millionen Sozialhilfeempfänger und Staatsangestellte, die am Wahltag listenweise zu den Urnen gekarrt werden.
«Die Chance für die Opposition ist gering, aber sie wird ein gutes Ergebnis einfahren und sich so mittelfristig als politische Alternative positionieren», glaubt Politologe Rubén Aguilar.