Ukraine-Krieg
Eine Reise als Sicherheits-Albtraum: Selenski besucht überraschend die Front

Nur wenige Kilometer von russischen Raketeneinschlägen entfernt tauchte am Wochenende der Mann im olivgrünen T-Shirt auf.

Paul Flückiger, Warschau
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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (r) trifft bei seinem Frontbesuch auf Soldaten seiner Armee.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (r) trifft bei seinem Frontbesuch auf Soldaten seiner Armee.

Presidential Press Service Hando / EPA

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat am Pfingstsonntag völlig überraschend den neuen Hotspot der Kämpfe im Donbass besucht. Kurz vor Mitternacht auf der Seite des ukrainischen Staatspräsidenten veröffentlichte Fotos zeigen Selenski im olivgrünen Shirt bei Gesprächen in Gefechtsständen. Diese sollen sich in Soledar und Lyssytschansk im Nord-Donbass befinden.

Präsident Selenski (2.v.r.) verschafft sich an der Front einen eigenen Eindruck vom Kriegsverlauf im Donbass.

Präsident Selenski (2.v.r.) verschafft sich an der Front einen eigenen Eindruck vom Kriegsverlauf im Donbass.

Presidential Press Service Hando / EPA

Soledar befindet sich nur rund 5 Kilometer nordöstlich der heftig von der russischen Armee und pro-russischen Separatisten beschossenen Stadt Bachmut. Sicherheitstechnisch noch heikler mag der Präsidentenbesuch in Lyssytschansk, der westlichen Nachbarstadt von Severodenezk gewesen sein, da sich hierauf seit über einer Woche das Augenmerk der Russen konzentriert. Ende der Woche hiess es von den lokalen ukrainischen Behörden, 80 Prozent der 100000-Einwohnerstadt Severodonezk seien bereits russisch besetzt. Am Wochenende ist der ukrainischen Armee aber ein Gegenschlag gelungen, bei dem offiziell rund 70 Prozent der Stadt zurückerobert wurden.

Kann die Ukraine sämtliche Gebiete zurückerobern?

Selenski gab sich zuversichtlich, dass die Ukraine dank westlicher Waffenlieferungen dereinst alle russisch besetzten Gebiete zurückerobern könne. «Rund 20 Prozent des ukrainischen Territoriums sind besetzt, doch es besteht kein Zweifel, dass wir diese zeitweilig besetzten Städte zurückerobern werden», so Selenski.

Inzwischen schien es am Pfingstmontag, dass sich die Russen bei der Schlacht um Severodonezk und Lyssytschansk wieder auf dem Vormarsch befanden. «Tag für Tag kämpfen wir um jedes Haus, einmal geht es einen Häuserblock vorwärts, dann wieder einen zurück», erzählte ein lokaler Kommandant der Nationalgarde der ukrainischen Internetzeitung «Ukrainska Prawda». Die Russen seien indes vor allem bei der Artillerie und Panzern bis zu zehnfach überlegen, gab der Anführer des «Swoboda»-Bataillons zu bedenken. Er brauche dringend Nachschub und mehr schwere Waffen, flehte er. Die russische Armee setze ihre Soldaten ungehemmt als Kanonenfutter ein, der Druck auf die Verteidiger der Stadt sei deshalb enorm.

Derweil musste der russische Aussenminister Sergej Lawrow eine geplante Reise nach Serbien am Montag endgültig absagen. Staatspräsident Aleksandar Vucic des pro-russischen EU-Anwärters Serbien wollte Lawrow als Staatsgast begrüssen, doch weder Bulgarien noch Nordmazedonien erteilten dem Kreml die dafür notwendigen Überflugsrechte. Die EU hat den Luftraum für russische Flugzeuge nach der Invasion in die Ukraine gesperrt.