Dorf um Dorf rücken russische Truppen im Osten der Ukraine vor. 20 Prozent des Landes wurde erobert. Wie gross die inzwischen besetzten Gebiete sind, zeigt der Vergleich mit europäischen Ländern.
Russische Truppen rücken im Osten unter schweren Verlusten vor. Bereits werden Stimmen lauter, die fordern, die Ukraine müsse Russland Teilgebiete abtreten und Putin ein Friedensangebot unterbreiten. Je länger der russische Angriffskrieg dauert, je mehr Gebietsgewinne die Russen erzielen und je stärker die Preise bei uns steigen, desto lauter werden diese Rufe in Westeuropa und den USA werden.
Doch von welcher Fläche reden wir überhaupt? Mitteleuropäer – und Amerikaner erst recht – haben oft nur eine sehr vage Vorstellung der Flächenverhältnisse, wenn es um die Ukraine geht.
Wie gross das von Russland kontrollierte Territorium derzeit verglichen mit europäischen Ländern ist, zeigen die folgenden Karten.
Russland kontrolliert mittlerweile fast den gesamten Donbass, weite Gebiete im Süden und die Halbinsel Krim. Das sind 20 Prozent der Ukraine.
Die russisch kontrollierten Gebiete haben eine Fläche von rund 123’000 km2 und sind somit genau dreimal grösser als die Schweiz.
Russland hat in der Ukraine seit der Krim-Annexion 2014 ziemlich exakt die Fläche der Schweiz und von Österreich erobert.
Russlands unrechtmässiger Landgewinn entspricht Tschechien und der Slowakei.
Von der Ukraine zu fordern, alle besetzten Gebiete abzutreten, wäre rein gedanklich wie von Italien zu fordern, auf 40 Prozent seiner Fläche zu verzichten.
Oder Grossbritannien auf eine Fläche in diesem Ausmass:
Die bislang im Krieg erbeuteten Gebiete entsprechen rund einem Drittel von Deutschland...
... oder Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro zusammen.
Solche Flächenvergleiche sind eindrücklich, haben aber einen entscheidenden Haken: Der Wert eines Landesteiles bemisst sich aus Sicht von Staaten nicht primär aufgrund seiner Fläche, sondern anhand von Faktoren wie Bevölkerungsdichte, vorhandene Bodenschätze, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Region oder deren strategischen Bedeutung – beispielsweise Zugang zum Meer. Nicht zu vergessen sind kulturelle und historische Gegebenheiten.
Abschliessend lässt sich sagen: Die grosse Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer ist derzeit nicht bereit, auch nur kleinste Landesteile abzutreten – selbst wenn das bedeutet, dass der Krieg noch lange andauert. Russlands Aggression mit Gebietsgewinnen honorieren wollen, ist für sie schlicht keine Option. Die jüngste Geschichte hat sie gelehrt, dass Putin jede Schwäche rigoros bestraft.
«Gebietsabtretungen an Russland wären vielleicht temporär stabilisierend. Längerfristig öffnen sie aber Tür und Tor für weitere russische Ambitionen und Interventionen, wie wir ja seit 2014 – der Besetzung der Krim und des Donbas – gesehen haben», erklärt Benno Zogg, Sicherheitsexpete an der ETH, im Interview mit watson. Russland würde sich dadurch «in seiner Erpressung und Kriegsführung bestärkt fühlen», sagt Zogg.