Wegen russischer Angriffe ist die Evakuierung von Zivilisten aus Mariupol fehlgeschlagen.
Bereits den zweiten Tag in Folge hat die ukrainische Regierung am Freitag versucht, Zivilisten und verletzte Soldaten aus den Industrieanlagen des Asowstal-Kombinats der Hafenstadt Mariupol zu evakuieren. «Die Evakuierung ist eine delikate Sache, wir bitten deshalb, alle Provokationen zu unterlassen, die als Vorwand für einen Abbruch dienen könnten», rief die Kiew-treue Stadtverwaltung die beiden Seiten auf.
Bis zu 2000 Zivilisten sollen evakuiert werden. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um Familienangehörige der letzten ukrainischen Verteidiger der Stadt, die sich vor mehreren Wochen auf das rund elf Quadratkilometer grosse Industriegelände mitten in der Stadt zurückgezogen haben.
«Als Erstes sollen die Zivilisten evakuiert werden, danach die am schwersten verletzten Soldaten», liess die Präsidialadministration von Wolodimir Selenski am Freitag in Kiew verlauten. Am Donnerstagabend musste die Evakuierung wegen eines russischen Bombenangriffs auf das Werk-Spital abgesagt werden.
Auf dem umkämpften Werkgelände halten sich noch rund 3000 ukrainische Soldaten verschanzt. Sie binden seit zwei Monaten Tausende russische Soldaten, die Moskau nun dringend für die Grossoffensive im Donbass brauchen würde.
In der «Schlacht um den Donbass» sollen laut dem Willen des Kreml-Herrn Wladimir Putin die beiden ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk möglichst bis zum 9. Mai, dem traditionellen russischen Feiertag des Sieges im Zweiten Weltkrieg, unterworfen werden. Dies war auch bereits das offizielle Ziel des russischen Angriffs auf die Ukraine vor 65 Tagen. Doch die russische Armee hatte zu viele Frontabschnitte auf einmal eröffnet und musste sich schliesslich aus der Nordukraine und der Umgebung von Kiew zurückziehen. Niemand, auch der Westen nicht, hatte mit derart grossem Widerstand der Ukrainer gerechnet.
Mariupol ist dabei zum Symbol des ukrainischen Widerstands geworden. Rund zwei Drittel der Stadtbevölkerung sind bereits geflohen. 30'000 der einst 450'000 Einwohner sollen laut Angaben des Kiew-treuen Rathauses gegen ihren Willen nach Russland verschleppt worden sein. Fast ebenso viele Zivilisten wurden bei den seit 65 Tagen anhaltenden Kämpfen getötet. Inzwischen wurden rund um die Stadt Massengräber entdeckt, die grössten davon mit bis zu 9000 Leichen.