Strassenproteste
Sie prügeln sich selbst untereinander: In Frankreich arten die Impfgegner-Demos aus

Zum siebten Samstag in Folge gehen die Impfpass-Kritiker in Frankreich auf die Strasse. Vieles trennt sie – aber sie haben auch gemeinsame Feindbilder.

Stefan Brändle, Paris
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Freiheit auf dem Schuld eines Demonstranten in Paris: In Frankreich haben Anti-Impfzwang-Proteste immer stärkeren Zulauf.

Freiheit auf dem Schuld eines Demonstranten in Paris: In Frankreich haben Anti-Impfzwang-Proteste immer stärkeren Zulauf.

Clement Mahoudeau / AFP

Im ersten Covidjahr hatten sich noch viele gewundert: Während in Deutschland die «Querdenker» mobilisierten, gab es in Frankreich, dem Land des permanenten Protestes und der tief verankerten Impfskepsis, nur wenige Anti-Impf-Demos. Erst die Ankündigung eines Impfpasses durch Präsident Emmanuel Macron zündete im Juli den Funken. Seither gehen jedes Wochenende rund 200'000 Impfgegner in vielen Städten auf die Strasse, um «Freiheit!» zu skandieren.

Trittbrettfahrer

«Liberté» ist der einzige verbindende Slogan einer sonst sehr zusammengewürfelten Bewegung. Immer wieder gibt es offenen Zoff in der Menge. In Montpellier gingen vor einer Woche linke «Antifas» und Identitäre der «Ligue du Midi» (Liga Südfrankreich) mit Holzbrettern, Krücken und Fäusten aufeinander los – mitten in der gleichen Demo.
In Paris werden auch an diesem Samstag getrennte Umzüge organisiert.

Auch Präsident Macron und vor allem «sein Impfpass» sind in der Schusslinie der Demonstrierenden.

Auch Präsident Macron und vor allem «sein Impfpass» sind in der Schusslinie der Demonstrierenden.

Keystone

Die politischen Differenzen sind zu gross, auch wenn der Kampf gegen «Macrons Impfpass» die Teilnehmer eint. François Ruffin, ein prominenter Vertreter der linken «Unbeugsamen» distanziert sich vom Umzug des Le Pen-Dissidenten Florian Philippot. Dieser politische Trittbrettfahrer, Vorsteher einer Minipartei namens «Les Patriotes» (0,7 Prozent bei den letzten Europawahlen), versucht sich über die der Anti-Vax-Bewegung für die Präsidentschaftswahlen von April 2022 in Stellung zu bringen.

Demonstranten mit Judenstern

Auffällig ist die soziologische Nähe der Impf(pass)gegner zu den Gelbwesten. Viele stammen aus verarmten oder peripheren Gebieten namentlich der südlichen Landeshälfte – von der Côte d’Azur über die Provence bis in die Pyrenäen. Dort begegnet man allem, was aus Paris kommt, prinzipiell abweisend. So liegt im Midi auch die Impfrate bedeutend tiefer. Sie zeugt von einer tiefen Angst der Franzosen vor dem Impfen. Während man in der Hauptstadt stolz ist auf die Errungenschaften Pasteurs, erinnert man sich in Südfrankreich zuerst an die zahlreichen Medizinalskandale (HIV-Blut, Mediator), die Hunderte von Menschleben gekostet hatten.

Verschwörungstheoretiker schüren dieses Misstrauen, bis daraus Paranoia wird. Und Antisemitismus. An einem Umzug in Besançon wandte sich Mitte August ein Transparent gegen den «Genozid der Goyim» (Nichtjuden). Andernorts stecken sich Demonstranten den gelben Judenstern an, um sich als Verfolgte zu geben.

Beliebt ist die verklausulierte Frage: «Wer?» Ein pensionierter General und Lepenist hatte am französischen Fernsehen insinuiert, hinter der Covidkrise und der Impflobby steckten die Juden. Er sprach zwar nur von «einer Gemeinschaft, die Sie kennen», als ihn ein Journalist darauf ansprach und wiederholt fragte: «Mais qui?» – wer denn? Die ehemalige Le Pen-Gefolgsfrau Cassandre Fristot führte dann aber in Metz ein Transparent mit, auf dem die Frage «mais qui?» von zahlreichen jüdischen Namen umgeben war: Ex-Premier Laurent Fabius, TV-Besitzer Patrick Drahi, Financier George Soros, Regierungssprecher Gabriel Attal, Philosoph Bernard-Henri Lévy, um nur ein paar zu nennen.


Fristot muss Mitte September wegen Anstachelung zum Judenhass vor Gericht. Die Frage «mais qui?» hat sich in den sozialen Medien und bei Impfgegnern aber bereits als Chiffre für die angeblichen Drahtzieher der Covid-Krise etabliert.

Hass auf Präsident Macron

Macrons Name fand sich – vielleicht wegen seiner früheren Tätigkeit für die Bank Rothschild – ebenfalls auf dem Plakat. Er bildet für die heterogenen Impfpassgegner einen noch stärkeren Kitt als der Antisemitismus. Bei den Demos und in den sozialen Medien brandet dem Präsidenten regelrechter Hass entgegen.

An sich könnte er darüber hinwegsehen: Seit ein paar Monaten schlägt er sich an der Covid-Front besser als im vergangenen Jahr, weshalb seine Umfragewerte wieder steigen. Gut ein halbes Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen ist das nicht unerheblich. Aber es ist auch trügerisch. Selbst die Macronisten müssen zugeben, dass der unerfahrene und abgehoben agierende Präsident die Nation mit dem Impfpass weiter gespalten hat. In Frankreich nimmt die soziale Spannung ähnlich zu wie vor zwei Jahren mit den Gelbwesten.