Es sollte eine Aktion gegen Islamophobie und gegen Diskriminierung von muslimischen Frauen werden. Stattdessen sorgte die Kampagne des Europarats für viel Empörung. Jetzt wurden die Bilder wieder vom Netz genommen.
Der Europarat, die in Strassburg ansässige Menschenrechtsorganisation, der auch die Schweiz angehört, steht in der Kritik. Vor allem in Frankreich geht die Empörung über eine Ende Oktober gestartete Kampagne in den sozialen Medien durch die Decke.
«Schönheit liegt in Vielfalt wie Freiheit im Hijab», heisst es in der mit Bilder von verschleierten Frauen illustrierten Beiträgen auf Twitter. Der Hijab ist ein muslimisches Kopftuch, das neben Teilen des Gesichts auch den Hals bedeckt.
Zweck der Kampagne war es, auf Diskriminierung von Kopftuchtragenden Frauen im Alltag hinzuweisen. «Mein Kopftuch bedeutet für mich Freiheit», wird etwa eine muslimische Frau zitiert, die in einer Arbeitsgruppe den Inhalt der Kampagne miterarbeitet hatte. In einem 27-sekündigen Video werden auch Frauen gezeigt, die jeweils zur Hälfte verschleiert sind. An anderer Stelle heisst es: «Wie langweilig wäre die Welt, wenn alle gleich aussehen würden?» Versehen sind die Beiträge mit Hashtags wie #JoyInHijab (#Hijab ist Freude).
Für das im Präsidentschaftswahlkampf steckende Frankreich war das zu viel. Rechte bis rechtsextreme Politiker wie die «Rassemblement National»-Chefin Marine Le Pen oder der Publizist Eric Zemmour nahmen die Kampagne zum Anlass für eine wüste Polemik gegen den Europarat. «Skandalös und unanständig» nannte Le Pen die Kampagne und verwies auf die «Millionen an Frauen», welche gegen die «Unterwerfung» durch den Islam ankämpfen würden. Von einem «publizistischen Dschihad, finanziert mit Steuergeldern» sprach Zemmour.
Encourager le port du voile dans une démarche identitaire ; cette position est diamétralement opposée à celle de liberté de conviction que la France défend dans toutes les enceintes internationales.
— Sarah EL HAÏRY (@sarahelhairy) November 2, 2021
Nous avons fait part de notre désapprobation, cette campagne est retirée. https://t.co/A1T4jZge4Z
Aber auch die Regierung von Präsident Emmanuel Macron blieb eine Reaktion nicht schuldig. Sie sei «extrem schockiert» gewesen über die Kampagne, sagte Staatssekretärin Sarah El Haïry in einem Interview. Hier würde für das Tragen des Hijabs als identitätsstiftendes Symbol Werbung gemacht, was entgegen den von Frankreich propagierten Werten sei. Man habe die «diplomatischen Kanäle» genutzt und dem Europarat seine Missbilligung mitgeteilt.
Tatsächlich wurden die Beiträge wenig später vom Netz genommen. Man werde «über eine bessere Präsentation des Inhalts nachdenken», teilte der Europarat mit. Laut der EU-Kommission, welche die Kampagne im Rahmen ihrer allgemeinen Beiträge an den Europarat mitfinanziert, sei der konkrete Inhalt nicht abgesprochen gewesen. Bevor man das ganze Projekt verurteile, müsse man es aber in seiner Gesamtheit anschauen. «Frauen müssen tragen dürfen, was sie wollen, solange sie die Gesetze des jeweiligen Landes beachten», sagte ein Kommissions-Sprecher.
Im traditionell laizistisch geprägten Frankreich sorgt die Debatte um das Kopftuch bereits seit Jahren für Schlagzeilen und aufgeheizte Debatten quer durch das politische Spektrum. Im Mai hatte Emmanuel Macrons Partei «La République en Marche» einer Kandidatin die Unterstützung entzogen, weil sie öffentlich ein Kopftuch trug.
«Die Kontroverse um diese Kampagne, welche gegen die Stigmatisierung und die Hassrede gerichtet ist, unter welcher Frauen leiden, zeigt vielleicht, wie dringend nötig sie ist», sagte Esther Major von der Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» gegenüber der «Financial Times».
Der Europarat mit Sitz in Strassburg wurde 1949 gegründet. 47 Länder gehören der zwischenstaatlichen Organisation an. Die Schweiz ist 1963 beigetreten und schickt jeweils eine Delegation aus National- und Ständeräten an die parlamentarische Versammlung.
Die Schweiz stellt auch einen Richter am Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Die zentrale Funktion des Europarats ist die Wahrung der Menschenrechte. Im Jahr 2021 beträgt der Budgetbeitrag der Schweiz gemäss Website des Europarats rund 9,4 Millionen Euro.