OSTEUROPA
Putin will Garantie, dass Ukraine niemals Nato-Mitglied wird - aber soweit wird es nicht kommen

Nur die Nato-Mitglieder und die Ukraine selbst würden über ihr Verhältnis bestimmen, so der Nato-Generalsekretär. Derweil bereiten die USA mit der EU und Grossbritannien harte Finanzsanktionen vor, falls Russland in sein Nachbarland angreift.

Remo Hess, Brüssel
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Wladimir Putin bedroht die Ukraine - weil er sich von der Nato bedroht fühlt? Hier beim Treffen mit US-Präsident Joe Biden (rechts) in Genf.

Wladimir Putin bedroht die Ukraine - weil er sich von der Nato bedroht fühlt? Hier beim Treffen mit US-Präsident Joe Biden (rechts) in Genf.

Keystone

Rund 100’000 Soldaten hat Russland an der Ostgrenze zur Ukraine zusammengezogen. Geheimdienste warnen, ein Angriff könnte schon Anfang Jahr bevorstehen. Wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch zum Treffen mit den Regierungschefs der 27 EU-Staaten nach Brüssel reist, wird er deshalb um ein jedes Zeichen der Solidarität froh sein.

Schon seit Tagen betont man bei der EU und der Nato, ein Verstoss gegen die territoriale Souveränität der Ukraine würde «harte Konsequenzen» nach sich ziehen. Ein direktes militärisches Eingreifen hat US-Präsident Joe Biden zwar ausgeschlossen. Aber hinter den Kulissen laufen bereits Vorbereitungen für einschneidende Wirtschaftssanktionen. Zur Debatte steht Russlands Ausschluss aus dem Swift-Zahlungsverkehr, welchen die russische Wirtschaft schmerzlich vom globalen Finanzkreislauf abhängen würde. Es wäre eine der schärfsten Strafen, die der Westen überhaupt verhängen könnte.

Putins will Ukraine blockieren - Westen verbietet sich Einmischung

Klar ist mittlerweile, was Präsident Wladimir Putin mit seinem Truppenaufmarsch vor der ukrainischen Haustür eigentlich will. Er verlangt eine «Sicherheitsgarantie», dass sich die Nato nicht mehr weiter nach Osten vergrössert. Konkret will Putin, dass das Verteidigungsbündnis seine «Einladung» von 2008 an die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien zurücknimmt und das vertraglich festgehalten wird.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht im Parlament in Kiew (Oktober 2019)

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht im Parlament in Kiew (Oktober 2019)

Keystone

Dass er das vergessen kann, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits am vergangenen Freitagabend nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz: «Das Verhältnis der Nato zur Ukraine wird von den 30 Nato-Verbündeten und der Ukraine bestimmt und von niemanden sonst», so Stoltenberg. Die Zeiten, in denen Grossmächte wie Russland über Einflusssphären verfügten, wo sie kontrollierten, was deren Mitglieder tun und lassen könnten, seien vorbei.

EU und Nato bereit, über «Wahrnehmung» von Sicherheitslage zu sprechen

Ähnlich klingt es am Vorabend des Brüsseler Gipfeltreffens mit Selenskyj aus der deutschen Bundesregierung: «Viele russische Forderungen der letzten Tage stehen in direkten Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht von Staaten», so ein hoher Diplomat. Es sei überhaupt unverständlich, weshalb von einer demokratischen Ukraine eine Gefahr für die russische Föderation ausgehen solle. Hingegen sei es die «traurige Lage der Dinge», dass die Krim-Halbinsel seit 2014 von Russland besetzt sei und mit Hilfe Moskaus weiterhin ein blutiger Konflikt im Osten des Landes andauere.

Nichtsdestotrotz ist man bei der EU bereit, mit Putin über die «Wahrnehmung der Sicherheitslage» in Europa zu reden. Ein solches Gespräch solle im Rahmen des sogenannten «Normandie-Formats» unter Beteiligung von Deutschland, Frankreich und der Ukraine stattfinden.

Russischer Panzer bei einer Übung in der Oblast Rostow am Dienstag, 14. Dezember 2021.

Russischer Panzer bei einer Übung in der Oblast Rostow am Dienstag, 14. Dezember 2021.

Keystone

Putin spricht von «Völkermord» - als Vorwand für den Einmarsch?

Bislang hat Putin allerdings keine Anstalten gemacht, den verstummten Normandie-Dialog wieder aufzunehmen. Im Gegenteil: Im November veröffentlichte er vertrauliche Briefe aus den Gesprächen. Ein Affront, der als diplomatische Beerdigung des Formats verstanden werden kann.

Auch sonst lässt der Kreml im Moment kaum eine Gelegenheit zur Provokation aus. Nur zwei Tage nach seinem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden, das eigentlich zur Entspannung beitragen sollte, verglich Putin den Konflikt in der Ostukraine mit Völkermord: Die russischsprachige Bevölkerung im umkämpften Gebiet leide unter einer zunehmenden «Russlandfeindlichkeit», was «ein erster Schritt zu einem Völkermord» sei, so Putin. Unter Beobachtern gehen dabei die Alarmglocken an: Die Sorge ist, dass solche Behauptungen als letzte Vorbereitungshandlung und als Vorwand dienen könnten, einen Einmarsch in die Ukraine zu rechtfertigen.