NACHHALTIGKEIT
Neue Ökoregeln für Kleider und Handys: EU will raus aus der Wegwerfgesellschaft

Nach Kühlschränken und Glühbirnen sollen auch alle anderen Produkte ein Ökosiegel erhalten. Den Start machen Kleider: Die EU sagt der Billigmode den Kampf an.

Remo Hess, Brüssel
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Gegen den Altkleiderberg: Auch Modehersteller sollen einen Nachhaltigkeitsnachweis liefern.

Gegen den Altkleiderberg: Auch Modehersteller sollen einen Nachhaltigkeitsnachweis liefern.

Keystone

Die Pläne sind ambitioniert: Um die Klimaziele zu erreichen, will sich die EU bis 2050 nicht nur von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas verabschieden. Sondern sie will auch möglichst schnell aus der Wegwerfgesellschaft aussteigen.

Das Prinzip «Kaufen, verbrauchen, wegwerfen» müsse abgeschafft werden, so der für den «Grünen Deal» zuständige EU-Vizepräsident Frans Timmermans. Stattdessen soll in Europa eine Kreislaufwirtschaft entstehen, wo die Menschen kaputte Produkte reparieren statt sie auf den Müll zu schmeissen. Timmermans: «Wir wollen, dass nachhaltige Produkte in Europa die Norm werden.»

Wegen EU-Zoff: Schweizer Baufirmen drohen Nachteile

Nicht nur Konsumgüter, sondern auch Materialien für den Bau sollen neuen Ökovorschriften unterliegen. Schweizer Firmen, die in die EU liefern, müssen diese übernehmen. Das Problem: Wegen des Streits um die institutionellen Fragen verweigert Brüssel bislang die Aktualisierung des betreffenden Abkommens. Im Mai vergangenen Jahres traf es bereits die Medizinaltechnik-Branche. Mit der Änderung der EU-Bauprodukteverordnung drohen nun auch Baumaterialien-Hersteller aus der Schweiz dranzukommen. Im vergangenen Jahr exportierten sie Produkte im Wert von über 2 Milliarden Franken in die EU. Die Importe beliefen sich auf rund 5,5 Milliarden Franken. (rhe)

Konsument soll wissen: Welchen ökologischen Fussabdruck hat das Produkt?

Das Herz des am Dienstag präsentierten Gesetzesvorschlags bildet die sogenannte Ökodesign-Richtlinie. Konsumenten kennen sie bereits von der «Energie-Ampel» an Kühlschränken und anderen Haushaltsgeräten: Ein Aufkleber zeigt in Abstufungen A bis G, ob das Gerät wenig (grün) oder viel (rot) Storm verbraucht. Nun soll die Richtlinie auf sämtliche physischen Waren mit Ausnahme von Lebensmitteln, Tierfutter und Medikamenten ausgedehnt werden. Hersteller sollen nachweisen, welchen ökologischen Fussabdruck ihr Produkt hinterlässt, wie lange sein Lebenszyklus dauert und ob es repariert oder recycelt werden kann. Irreführende Bezeichnungen wie «nachhaltig» oder «grün» werden verboten, wenn es keine sachliche Grundlage dafür gibt.

Beim Kauf eines Kühlschranks zählt nicht nur der Preis, sondern auch die mittelfristigen Kosten beim Energieverbrauch.

Beim Kauf eines Kühlschranks zählt nicht nur der Preis, sondern auch die mittelfristigen Kosten beim Energieverbrauch.

Keystone

Der Fast Fashion und Billigmode den Garaus machen

Ein besonderes Augenmerk widmet die EU der Textilbranche. Jede Sekunde landet in Europa eine Lastwagenladung an Kleidern in der Verbrennungsanlage oder auf der Deponie. Elf Kilo an Altkleidern produziert jeder Europäer und jede Europäerin pro Jahr.

Viel zu viel, findet die EU-Kommission und will die Modehäuser in die Pflicht nehmen. Sie sollen aufhören mit Billigmode und Fast Fashion und stattdessen langlebige Kleider produzieren. Bis 2030 sollen alle in der EU verkauften Kleider wiederverwertbar sein und aus aufbereiteten Fasern hergestellt werden.

Nach den Kleidern will die EU Möbel, Matratzen, Reifen oder Waschmittel ins Visier nehmen. Aber auch Handys sollen einen längeren Lebenszyklus erhalten, indem einfacher die Batterie ausgetauscht werden kann oder sichergestellt wird, dass Software-Updates ein Gerät nicht unbrauchbar machen. «Ich kann nicht einmal den Akku von diesem Ding wechseln, ohne es komplett auseinanderzunehmen», erklärt Timmermans das Problem anhand seines Smartphones.

Frans Timmermans.

Frans Timmermans.

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Alles wird ökologisch, heisst auch, alles wird jetzt teurer?

Dass Alltagsgüter für die breite Konsumentenschaft mit den neuen Ökoregeln teurer werden, streitet die EU-Kommission ab. Das Gegenteil sei der Fall: Im Jahr 2021 hätten die Ökodesign-Vorschriften 120 Milliarden Euro an Einsparungen gebracht. Der Energieverbrauch der betroffenen Geräte sei um zehn Prozent gesunken. Wenn man Produkte kaufe, die länger halten und wiederverwendet würden, würde man mittelfristig natürlich Geld sparen, so Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius. Billigprodukte kämen zudem oft mit gesamtgesellschaftlichen Problemen wie schlechten Arbeitsbedingungen bei der Herstellung und Umweltbelastungen.

Als Nächstes beraten EU-Parlament und Mitgliedsstaaten über die Gesetzesvorschläge. Bis sie in Kraft treten, dürfte noch einige Zeit vergehen.