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Die Migrations-Vereinbarungen, die Europa mit Ländern des Südens abgeschlossen hat, sind eine diplomatische Gratwanderung.
Der Verdacht hält sich hartnäckig: Europa entledigt sich in der Migrationspolitik seiner Verantwortung und lagert die Probleme an Drittländer aus (neudeutsch «Outsourcing»). So auch bei der am Dienstag geschlossenen Vereinbarung zwischen dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Ruanda. Sie beinhaltet, dass das ostafrikanische Land 500 Migranten aus dem kriegsgeplagten Libyen übernehmen soll.
Für Camille Le Coz von der Brüsseler Denkfabrik «Migration Policy Institute Europe» kommt das mit einem «erheblichen politischen Preis»: Der autoritär regierende Präsident Paul Kagame werde die Flüchtlinge nicht aus reiner Grosszügigkeit empfangen, sondern eine «diplomatische Belohnung» erwarten. Zum Beispiel europäische Nachsicht bei seinen eigenen Verstössen gegen die Grundrechte, wie Le Coz bereits im August sagte.
Tatsächlich sind die oft nicht sehr transparenten Migrations-Vereinbarungen für die EU eine Gratwanderung. Auf der einen Seite steht die Wahrung europäischer Werte, auf der anderen Seite der migrationspolitische Realismus.
Im Fall des Ruanda-Deals geht es laut UNHCR-Chef Vincent Cochetel aber schlicht darum, «Menschenleben zu retten». Rund 5000 Migranten werden in und um die umkämpfte libysche Hauptstadt Tripolis unter unzumutbaren Bedingungen festgehalten. Anfang Juli starben 44 Menschen bei einem Angriff auf eines dieser geschlossenen Lager. Dank dem Auffangzentrum in Ruanda könnten diese Menschen aus der Gefahrenzone gebracht werden.
Migrationsforscher Gerald Knaus warnt ebenfalls vor voreiliger Kritik an dem Abkommen. Es sei «extrem begrüssenswert», wenn die Leute möglichst schnell aus den libyschen Lagern geholt würden, wo sie gefoltert und misshandelt würden. Klar könne bei so einer Vereinbarung immer etwas schiefgehen.
Aber: «Es gibt keinen Grund, jede Form des Dialogs mit Drittländern als anrüchige ‹Externalisierung› der Migrationsfrage zu diskreditieren.» Vielmehr müsse es das strategische Ziel sein, die Idee von Asyl und Schutz nicht nur auf einige nordeuropäische Länder zu beschränken. Eine breitere Unterstützung der Flüchtlingskonvention sei schliesslich auch die Absicht des UNO-Migrationspakts.
Unabdinglich für eine Zusammenarbeit mit Ländern wie Ruanda sei aber, dass sich Europa an seine Zusagen halte. Beim Migrationspakt mit Niger sei das nicht der Fall gewesen, sagt Knaus. Auch beim Abkommen mit der Türkei sei die EU nicht imstande, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die Kooperation mit der libyschen Küstenwache jedoch sei das absolute Negativbeispiel. Die EU würde diese aufrechterhalten, im Wissen darum, dass die Menschen in unsichere Gebiete zurückgebracht werden. «Das ist praktisch gesehen eine Verletzung aller unserer Werte», sagt Knaus.