Südafrika: Landreform als Zerreissprobe

Präsident Cyril Ramaphosa sorgt mit einer Ankündigung für Aufsehen: Der Afrikanische Nationalkongress will ein Gesetz, das Landenteignungen ohne Entschädigung vorsieht, schneller durchboxen als gedacht. Viele Beobachter sind besorgt.

Markus Schönherr, Kapstadt
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Eine Gemeindeversammlung in Südafrika bezüglich der neuen Landreform. (Bild: Gulshan Khan/AFP (Vereeniging, 27. Juli 2018))

Eine Gemeindeversammlung in Südafrika bezüglich der neuen Landreform. (Bild: Gulshan Khan/AFP (Vereeniging, 27. Juli 2018))

«Auf der ganzen Welt gibt es Leute, die kein Land haben. Das Problem ist, dass die Grenze hier zwischen Schwarz und Weiss verläuft.» Susanne Schneider betreibt mit ihrem Mann und Freunden eine Weinfarm in Südafrika. Dort brodelt es seit Jahresbeginn gewaltig, nachdem der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) sich im Parlament für Landenteignungen ohne Entschädigungen aussprach. Zwar verstehe die deutsche Auswanderin die Notwendigkeit für eine Landreform: Jeder, dem Grundbesitz aufgrund seiner Hautfarbe zugefallen sei, sollte die Gerechtigkeit davon hinterfragen. Aber: «Leider kommt die Aufarbeitung nun Jahrzehnte zu spät.»

Wird Südafrika das nächste Simbabwe, wo Landenteignungen Wirtschaft und Entwicklung lahmlegten? Diese Frage beschäftigt derzeit besorgte Farmer am Kap genauso wie Oppositionspolitiker und Investoren. Auf der einen Seite stehen sie in Sorge um Südafrikas Ernährungssicherheit und Rechtsstaatlichkeit. Auf der anderen Seite stehen linksnationale Populisten, die die Stimmung anheizen. Derzeit wird untersucht, ob Artikel 25 von Südafrikas Verfassung geändert werden soll. Der Paragraf befasst sich mit Grundbesitz und den Rechten von Eigentümern. Um die Südafrikaner zu den geplanten Landenteignungen zu befragen, tourt derzeit ein Parlamentsausschuss durch das ganze Land. Der Prozess schien ein deutliches Anzeichen einer gereiften Demokratie.

Umso überraschter reagierten die Südafrikaner diese Woche: In der Nacht auf Mittwoch verkündete Staatspräsident Cyril Ramaphosa, seine Partei werde für ein Gesetz stimmen, das «explizit» Landenteignungen ohne Entschädigung vorsieht. Die Gegner reagieren wütend. Oppositionsführer Mmusi Maimane unterstellte dem ANC, «vorschnell» zu handeln, und wittert einen «direkten Versuch, das Parlament zu untergraben».

«Dieses Land wurde uns geraubt»

Das Problem: Mehr als 70 Prozent des fruchtbaren Bodens befinden sich in den Händen der weissen Minderheit. Gerade einmal 4 Prozent entfallen auf Schwarzafrikaner. Die Frustration landloser Südafrikaner sei daher «echt und legitim», meint Ruth Hall, Professorin für Agrarpolitik an der Uni Westkap. «Viele schwarze Kleinbauern hätten gerne günstiger gelegenes Land mit Infrastruktur und Zugang zu Wasser – also jenes Land, das derzeit weisse Farmer besitzen.»

«Dieses Land wurde uns geraubt. Wir verlangen es zurück. Also ändert dieses Gesetz, ändert es!», wetterte eine Rednerin bei den Gemeindeanhörungen. Die Stimmung am Kap ist aufgeheizt. Beinahe täglich gehen die Bewohner der überfüllten Townships auf die Strasse und fordern einen Fleck Eigenland, auf dem sie ihr Haus aufschlagen können. Meist treffen sie auf Weisse, die die Welt nicht mehr verstehen. Zurück nach Europa, in die Heimat ihrer Vorfahren? Das kommt für die wenigsten in Frage. «Ich wurde in Südafrika geboren und werde es nicht einfach aufgeben», betonte Farmer Michael Pretorius, der 500 Arbeiter auf seiner Zitrusfarm beschäftigt. Südafrika gilt als Land mit der weltweit ungerechtesten Einkommensverteilung. 27 Prozent haben keinen Job, jeder zweite lebt in Armut. Dass mithilfe der Mittellosen Politik gemacht wird, verkompliziert die Situation zusätzlich. Die Konrad-Adenauer-Stiftung warnte vor einem «Spiel mit dem Feuer».

Laut Hall habe der ANC genügend Zeit gehabt, das Pulverfass behutsam zu entsorgen – habe es jedoch versäumt. «Als Konsequenz hat er sich selbst seinen Kritikern ausgeliefert.» Jetzt droht der ANC, die populistischen Hymnen der Linksradikalen im Kapstädter Parlament mit anzustimmen. Gemeinsam mit der linksradikalen EFF besässe der ANC die Zweidrittelmehrheit, die nötig wäre, um das Grundgesetz zu ändern. Der neue Staatschef Cyril Ramaphosa, an sich ein Pragmatiker mit Weitblick, hatte den Hardlinern im ANC bisher nur wenig entgegenzusetzen.

Wirtschaftlicher Niedergang stehe nicht bevor

Eine gewaltvolle Revolution mit wirtschaftlichem Niedergang wie in Simbabwe, ist Hall überzeugt, stehe Südafrika dennoch nicht bevor. Zum einen lebten 62 Prozent der Südafrikaner in Städten, im Gegensatz zu Simbabwes ländlicher Bevölkerung. «Zum anderen haben wir ein sehr robustes Rechtssystem mit einer Justiz, die über diesen Prozess wacht.» Es gelte zu beachten, dass Südafrikas Demokratie so weit gereift ist, dass jegliche Landbeschlagnahmung vor einem unabhängigen Gericht angefochten werden könne.

Auch Farmerin Susanne Schneider ist zuversichtlich, was Südafrikas Zukunft betrifft – so sehr, dass sie vor kurzem ein weiteres Grundstück kaufte. In Deutschland fragten sie mehr Leute, wie es für sie weitergehe, als in ihrer direkten Nachbarschaft. Ihnen sagt sie: «Mittlerweile nehme ich es auf südafrikanische Weise, gelassen – ich beschäftige mich mit dem Problem, wenn es da ist.»