Illegale Abschiebungen: Schweiz droht mit Abzug von Frontex-Beamten

Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex ist Vorwürfen über illegale «Pushbacks» ausgesetzt. Die Schweiz, die ebenfalls Frontex-Beamte an die EU-Aussengrenze schickt, zieht jetzt eine rote Linie.

Remo Hess, Brüssel
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Frontex-Beamte bei einem Rettungseinsatz vor der griechischen Insel Lesbos.

Frontex-Beamte bei einem Rettungseinsatz vor der griechischen Insel Lesbos.

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Die Europäische Union mag immer öfter den Eindruck eines zerstrittenen Haufens erwecken. In einem aber ist man sich einig: Der Schutz der Aussengrenzen muss gestärkt werden. Nie wieder soll sich der Kontrollverlust von 2015 wiederholen, als hunderttausende von Migranten irregulär in die EU eingewandert sind. Und auch die Schweiz als Schengen-Mitglied stimmt regelmässig in den Chor ein und fordert einen besseren Schutz der Aussengrenzen. Zuletzt beim Treffen der EU-Justizminister Mitte November, an dem Bundesrätin Karin Keller-Sutter teilnahm.

Die Migranten wurden von der kroatischen Polizei an der Grenze abgesetzt und anschliessend von Maskierten verprügelt.

Die Migranten wurden von der kroatischen Polizei an der Grenze abgesetzt und anschliessend von Maskierten verprügelt.

Screenshot Spiegel

Allerdings: Der verstärkte Aussengrenzschutz kommt mit einem unappetitlichen Beigeschmack. Seit Monaten häufen sich Medienberichte über brutale und unrechtmässige Abschiebungen. Griechische Grenzschützer sollen Boots-Flüchtlinge zurück aufs offene Meer schleppen und sie ihrem Schicksal überlassen. Im Frühjahr soll an der griechisch-türkischen Landgrenze ein Migrant erschossen worden sein. Vergangene Woche veröffentlichte das Nachrichtenmagazin «Spiegel» Filmdokumente, die verprügelte Asylsuchende zeigen, die kurz zuvor von Kroatien über die Grenze nach Bosnien abgeschoben wurden.

Brisant: Bei einigen dieser Vorfälle soll auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex involviert sein. Frontex-Beamte sollen sogenannte «Pushbacks» im östlichen Mittelmeer untätig beobachtet und teilweise sogar mitgeholfen haben. Solches Verhalten verstösst nicht nur gegen die UN-Flüchtlingskonvention, sondern gegen die EU-Grundwerte. Anfang November wurde eine Dringlichkeitssitzung des Frontex-Aufsichtsrats einberufen, in dem auch die Schweiz vertreten ist. Frontex-Chef Fabrice Leggeri musste sich erklären. Im Nachhinein wurde einstimmig festgestellt, dass «dringender Handlungsbedarf» bestehe. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, der die Vorfälle aufklären soll.

Europas oberster Grenzschützer: Frontex-Direktor Fabrice Leggeri.

Europas oberster Grenzschützer: Frontex-Direktor Fabrice Leggeri.

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Im Rahmen des Schengen-Abkommens sind zurzeit auch fünf Schweizer Grenzschutz-Beamte in Frontex-Missionen unterwegs. Sie schützen die See- und Landgrenze der EU in Italien, Spanien und Kroatien. In früheren Einsätzen waren Schweizer Grenzschützer auch in Griechenland oder Bulgarien stationiert. Sind auch sie in die Pushback-Vorwürfe verwickelt? Nein, heisst es auf Anfrage bei der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV). Alle Mitarbeitende, die einen Frontex-Einsatz leisten, seien verpflichtet, festgestellte Menschenrechtsverletzungen umgehend zu melden. Bis jetzt seien keine solchen Vorfälle rapportiert worden, so ein Sprecher. Als direkte Konsequenz der jüngsten Medienberichte hat die EZV zudem eine rote Linie gezogen: Würden Schweizer Frontex-Beamte im Zuge ihres Einsatzes zu Pushbacks aufgefordert, müssen sie sich diesen Befehlen widersetzen. In der Folge würde die Schweiz ihre Mitarbeitenden umgehend zurückziehen. Entsprechende schriftliche Weisungen seien erlassen worden.

Die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga besucht Schweizer Grenzschützer in der Nähe der bulgarisch-türkischen Grenze (2014).

Die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga besucht Schweizer Grenzschützer in der Nähe der bulgarisch-türkischen Grenze (2014).

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In der Schweiz ist man sich des politischen Konfliktpotentials ungeklärter Pushback-Vorwürfe offensichtlich bewusst. Das liegt auch daran, dass das Schengen-Abkommen nicht bloss von rechter Seite kritisiert wird. Wegen den Abschottungstendenzen kommt unter dem Stichwort «Festung Europa» auch von der Linken regelmässig Kritik. Erst im September spielte diese «unheilige Allianz», als im Nationalrat eine Erweiterung des Schengen-Informationssystem (SIS) abgelehnt wurde. Erwartet wird bereits, dass sich der Bundesrat in der Wintersession auch kritischen Fragen aus dem Parlament in Sachen Pushbacks stellen muss.